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ist, und die einzige Anstrengung, die erforderlich wird, besteht darin,die von der Materie abschweifenden, unter mannigfaltigen Ver-kleidungen umgehenden Phantastereien fernzuhalten."
Einen Anti-Idealisten darf man Dühring deshalb doch nichtnennen. Sein Ideal ist die sinngemäße Weiterentwickelung derMenschheit, und zunächst und vor allem seiner eigenen Nation.Dies Ideal giebt jedem Individuum und jeder Lebensphase einenAnspruch auf möglichste Freiheit von jedem überflüssigen Zwang:aber es legt auch jeder Lebensphase und jedem Individuum ganzbestimmte Pflichten auf. In der Betonung dieser Pflichten stehtDührings „antikratische" Lehre zn dem extremen Individualismuseines Max Stirner in schneidendem Gegensatz. Pflicht ist vor allenidie unbedingte Wahrhaftigkeit: nur wer ganz das ist, wofür er sichgiebt, darf die Rechte beanspruchen, die aus seiner Stellung er-sließen. Ist die Wahrhaftigkeit aber noch mehr eine Pflicht desEinzelnen gegen sich selbst als gegen die anderen, so hat er Ver-pflichtungen doch auch gegen die ganze Gattung. Die Ehe ist ein-gesetzt als Mittel, eine Schöpfungsarbeit im höchsten Sinne zuermöglichen. Durch die Wahl des Ehegenossen, durch die liebevoll-vernünftige Diätetik des Ehelebens, durch die gesunde Erziehungder Kinder hat jeder Mensch an der Emporhebung des Geschlechtsmitzuarbeiten.
Ausgestattet mit einer ganz bestimmten und sehr individuellgefärbten Vorstellung des „modernen Menschen", des Zukunfts-menschen, fühlt Dühring sich zum entschiedenen Kampf verpflichtetgegen diejenigen Raffen, die seinem Ideal widersprechen. Es sindvor allem — ganz begreiflicherweise — die beiden, von denen die bis-herige Jdealbildung der Menschheit vorzugsweise herstammt. Wer mitdem Begriff einer ganz neuen, realistischen Idealen dienenden Mensch-heit ernst machen will, muß in Gegensatz zu den Idealen kommen,die Griechen nnd Juden, die Gestalter des klassischen uud die Vor-bereiter des christlichen Ideals, hervorbrachten; und bei Dühringsleidenschaftlicher Kämpfernatnr artet das freilich gleich zu demUrteil „von der vornehmlich sophistischen Natur des griechischenNationalcharakters", von dem „zur vollen Ehrlichkeit unfähigenGriechentum" und zu noch schärfer beschimpfenden Urteilen überdie Juden aus. Der preußische Beamtensohn war in einer Sphäreaufgewachsen, die wesentlich noch von Fridericianischen Anschau-ungen beherrscht war; Friedrich der Große ist fast der einzige