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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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640 18601870.

Heros außerhalb der Denker-Märtyrer wie Galilei und RobertMayer den er anerkennt; Voltaire wird als Dührings einzigereigentlicher Vorgänger gefeiert. Der französischen Art suhlt sichder leidenschaftlich uationalgermanische Autor auch am nächstenverwandt eine Verwandtschaft der Gegensätze, die ihre gutehistorische und psychologische Berechtigung hat. Ihre Nüchternheitund Klarheit, die wissenschastlichen und kulturhistorischen Verdiensteder am meisten mathematisch angelegten Nation, endlich der naiveRealismus, der beim Franzosen unter aller Phrase nnd über allemEnthusiasmus immer wieder durchschlägt das ließ ihn dasBild des Europäers der Zukunft wesentlich nach dem Modell desFranzosen der Aufklärungsepoche zeichnen.

Auch seine ästhetischen Anschauungen sind von diesen Ein-flüssen mit bedingt. So wenig wie das Ideal darf man derWeltanschauung Dührings die Poesie abstreiten. Zunächst ist eineleidenschaftliche, die ganze Seele ausfüllende Hingabe an bestimmteIdeen uud an die Wirklichkeit in sich eine Art latenter Poesie.Wie sie den sonst ost bis zur Trockenheit nüchternen Philosophengelegentlich wie in seiner Schilderung der wahren Ehe zuAccenten von hinreißender Wirkung fortreißt, so giebt sie auch ein-zelnen Auffassungen oft eine poetische Färbung. Wichtiger ist fürDühring die (von Lotze bereits verkündete) Vorstellung der mathema-tischen Schönheit: einer hohen, gesetzmäßigen Regelmäßigkeit im Wirk-lichen, deren angemessene Darstellung ihm als die einzig berechtigteKunst erscheint. Er stellt denn auch geradezu die Forderung einerWirklichkeitspoesie" im strengsten Sinne auf. Die Poesie etwaGoethes scheint ihm durchBeschönigung" der Realität nicht nurunmoralisch und er macht den moralischen Standpunkt in asstlls-tiois sehr energisch geltendsondern auch unästhetisch, weil sie unsernWirklichkeitssinn verletze. Wir sehen: Dühring ist hier nur der Kom-parativ von Otto Ludwig. Wie der Dichter demIdealisten" Schiller vorwarf, er betrüge den Hörer um die Wirklichkeit, so erhebt derPhilosoph den gleichen Vorwurf gegen denRealisten" Goethe.Auch hier hat Dührings Lehre, die übrigens mit dem landläufigenNaturalismus nichts gemein hat, symptomatische Bedeutung.

Die beste Probe ans jedermanns Lehren ist für Dühring dasLeben ein Gesichtspunkt, den er besonders in seiner gerade durchdie bis zur Wildheit kräftige Subjektivität anregendenKritischenGeschichte der Philosophie" Zuerst 1869) vertritt. Es ist charakte-