Buschs symptomatische Bedeutung.
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immer ganz mißlungene. Er lebt nun einsam in seiner ländlichenHeimat, ein stiller Mann, dessen interessanten Kopf mit den durch-bohrenden Augen kein Geringerer als Lenbach verewigt hat. ZuMichelangelo und Goethe werden wir ihn nicht, wie sein VerehrerEduard Daelen , stellen; aber unter den charakteristischen Figurender Zeit, unter den Vorläufern einer neuen, realistisch stilisierenden,pessimistisch idealisierenden Richtung gebührt ihm ein Platz, undunter den „Tröstern" des deutschen Volkes darf der Mann nichtvergessen werden, dessen humorvolle Selbst- und Weltüberwindunguns so viele Stunden erschütternden Lachens verschafft hat. Unsscheinen auch seine selbst von Bischer hart gescholtenen „Unsittlich-keiten" das Maß nicht zu überschreiten, das sich die Satiriker geradeder naivsten Zeiten gestatteten; will man ihn angreifen, so greifeman lieber das Fundament seiner Weltanschauung an, jene blasiertweltschmerzliche Stimmung, die die höchsten Ideale nur zu ironi-sieren weiß:
Enthaltsamkeit heißt das VergnügenAn Sachen, welche wir nicht kriegen.
Hier lag das Ungesunde; hier war Busch durch größere Humoristenzu überwinden, durch Gottfried Keller und Theodor Fontane , durchAnzengruber und Rosegger : Humoristen, die an Ideale glaubten.Und nichts brauchte die Periode der D. Fr. Strauß und derBüchner nötiger als starke, kampflustige Idealisten!
Sie fehlten glücklicherweise nicht. Allmählich begann derMaterialismus sich zu einer Orthodoxie zu entwickeln, die zumWiderspruch reizen mußte. Ludwig Büchner (geb. 1824 inDarmstadt ), ein Bruder Georg Büchners, ward mit seinem geist-und reizlosen Materialistenbrevier („Krafr und Stoff" 1855, jetztin 19. Auflage) der Kirchenvater der selbstzufriedenen Plattheit.Ehrliche Fanatiker wie der Held von Turgenjews dieser Epocheangehörigem Hauptroman „Väter und Söhne " (1862), wohl demersten, mit dem der große Russe auf die deutsche Litteratur ein-zuwirken begann, blieben in der Minderzahl; hauptsächlich rekru-tierte sich das Heer der Materialisten, die gern den schönen Namen„Freidenker" für sich allein in Anspruch nahmen, aus jenen Kreisen,in denen man eine fertig gelieferte Weltanschauung aus demmodernsten Laden bezieht, um von nun an jeden zu verachten,der anders gekleidet geht. Aber eine Anschauung, die so tiefwurzelte und so weit verbreitet war, ließ sich durch negative Be-