Ernst Haeckel. 64Z
von da ab ihr unermüdlichster Vorkämpfer; durch mündliche Lehreund vor allem durch zwei bedeutende, mit werbendem Geschick ingroßem Zuge hingeschriebene populäre Bücher („Natürliche Schöp-fungsgeschichte" 1868, „Anthropogonie" 1874) hat er mehr als einanderer dazu beigetragen, die Entwickelungslehre zur herrschendenReligion der Gebildeten in Deutschland zu machen. Auch er be-kennt sich zum Materialismus; die Entstehung und Entwickelungder Eizelle im mütterlichen Körper löst ihm „die höchsten Fragenmittelst der Descendenztheorie in rein mechanischem, rein moni-stischem Sinne". Aber eben der Monismus, den sein „Glaubens-bekenntnis eines Naturforschers" („Der Monismus" 1892) als„Band zwischen Religion und Wissenschaft" verkündet, soll gleich-zeitig auch den vulgären Materialismus überwinden. Aus der Er-forschung der Realität soll eine neue Ethik, soll auch eine neueÄsthetik emporblühen; das fordert Haeckel so ausdrücklich, wie Dühringes lehrt. „Durch die harmonische und zusammenhängende Aus-bildung der Erkenntnis des Wahren, der Erziehung znm Guten,der Pflege des Schönen gewinnen wir jenes wahrhaft beglückendeBand zwischen Religion und Wissenschaft, das heute noch von so vielenschmerzlich vermißt wird." Auch Haeckel also will über den einfachenMaterialismus uud die blasierte Ablehnung aller Ideale hinaus —auch er sieht das Heilmittel in einer Versenkung in die wirklichvorhandenen Schöuheiteu. Und auch er hat durch das Gefühl einerpersönlichen Erlösung und Befreiung, das seine Schriften so beredtpredigen, vor allem auf die Jugend begeisternd gewirkt. Auch inseineu „Indischen Reisebriefen" (1882) wirkt die Frische, die Em-pfänglichkeit, die Heiterkeit einer ganz von einer Empfindung aus-gefüllten Seele wohlthuend. Aber auch Haeckel hat man manchenüberscharfen, manchen unberechtigten Angriff auf gegnerische Über-zeugungen zu verzeihen; auch ihm, wie Dühriug und in nochhöherem Grade Treitschke , hat man vorwerfen müssen, daß dieHeftigkeit vorgefaßter Meinungen ihn zuweilen gegen die Wirk-lichkeit verblendet und ihn bis zur subjektiven Entstellung der That-sachen treibt.
Als Agitator im größten Stile, als leidenschaftlicher Vor-fechter eines nationalen und sittlichen Ideals ist Heinrich v.Treitschke (1834—1896) in erster Linie aufzufassen. Der Sohndes sächsischen Generals aus einer alten tschechischen Emigranten-familie (geb. 15. Sept. 1834 in Dresden ) wäre am liebsten selbst
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