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Großstädter mit Leib und Seele", schrieb er selbst einmal, „dieländliche Ruhe ist nichts für mich". Aber er lebte doch inder Großstadt, die unter allen modernen Metropolen die engsteFühlung mit dem umgebenden Land hat, nnd er wurde durch dieSchicksale seiner Jugend zu den Landlenten in die intimsten Be-rührungen gebracht. Ein eigentlicher „Banerndichter", wie seinvortrefflicher Freund Rosegger , ist er nicht; er mußte sich bei diesemgelegentlich nach Einzelheiten in bäuerischer Tracht und Sprechweiseerkundigen; aber eben deshalb gelang ihm ein tieferes Erfassengroßer Probleme. Er war, wie Anton Bettelheim in seinerausgezeichneten Biographie hervorhebt, väterlicherseits ein Nach-komme oberösterreichischer Bauern, mütterlicherseits von WienerBürgern, deren Ahnen überdies aus „dem Reich", wahrscheinlichaus Schwaben, eingewandert waren. Sein Vater, ein kleiner Be-amter, war wie Schillers Vater ein dichtender Dilettant, der sichimmerhin in einem eigentümlich-historischen Drama („BertholdSchwarz ") zu eigenartigen Konzeptionen erhob. Er war ein Ver-ehrer und Nachahmer Schillers , und sein Sohn, der ihn nebenwenigen größeren Dramatikern als seinen Lehrer ansah, hat (wie Gott-fried Keller ) stets an der Verehrung des volkstümlichsten Dramen-dichters der Neuzeit festgehalten. Die Mutter, die Anzengrnbcr mehrals irgend einen anderen Menschen geliebt, und der er in der Groß-mutter im „Vierten Gebot" ein Denkmal gesetzt hat, war einetüchtige arbeitsame Frau voll Mutterwitz. So erhielt Anzengrubervon der Wiege an die Richtung auf ernste Bolkserziehnng — undauf Humor; auf das Drama — und auf realistische Beobachtungdes Lebens.
Er wurde (29. Nov. 1839) in kleinen Verhältnissen geboren,und doch ward ihm eine hellere Jugend gegönnt, als FriedrichHebbel oder Otto Ludwig sie erlebten; im Spiel konnte sich derzukünftige Dramaturg „ausleben", Märchen zu Schauspielen um-arbeiten und mit der Köchin als Heroine aufführen. Dann kamfreilich nach dem frühen Tode des Vaters die Not. Aber schon warin dem Knaben die Gedankenthätigkcit so weit herangereift, daß ihrSpiel ihn über die schlimmste Bedrängnis hinwegzauberte. Die Re-volution machte auf deu Achtjährigen schon Eindruck; er wundertesich, daß die Großen so an der Welt hernmbastelten: „ist denn dienicht fix und fertig?" Und wieder hinderte doch diese frühreifeNachdenklichkeit nnd ein eifriges Lesen selbst in so gefährlichen