Print 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Place and Date of Creation
Page
671
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 
  

Das volkstümliche Drama.

671

zeigten in der übersichtlichen Form einer zweckmäßig geordnetenHandlung. Diesem Verlangen hatte die Antike mit der Komödie,das französische Theater mit seinen Sittenstücken genügt. Wiraber hatten statt Aristophanes Kotzebue und selbst statt Augierund Dumas nur Gutzkow .

Ein gesunder Ansatz zu einen? in jenem eigentlicheren Sinnevolkstümlichen" Drama lag in den besseren Lokalstücken. Dergeistreiche Hettner druckte schon mitten in der Zeit, da die Ent-fremdung zwischen Volk nnd Bühnenschriststellern am größten war(1852), in seinem Büchlein über das moderne Drama GottfriedKellers Zuschrift ab, in der der große Bewunderer Schillers Vor-boten einer neuen Komödie erblickte in den Berliner Possen. Esseien hier bereits, meinte er, eine Menge traditioneller Bühncu-gewohuheiten iu deu Motiven nnd Situationen und Charakteren,es fehle nur die Hand, welche sie reinige und durch geniale Verwen-dung den großen Bühnen aufzwinge. Und dann fährt Keller fort:Nnd was das Beste und Herrlichste ist das Volk, die Zeit habensich diese Gattung selbst geschaffen nach ihrem Bedürfnisse, sie istkein Produkt litterarhistorischer Experimente wie etwa die gelehrteAufwärmung des Aristophanes ".Vorzüglich zwei wichtige Momentesind in der gegenwärtigen Beschaffenheit dieser Possen hervorragend.Das eine ist die größere Willkür in der Ökonomie. Das andereist die Verbindung der Musik mit der Dichtung in den Couplets."

Diese Worte Gottfried Kellers klingen wie eine Prophezeiung ansdas Volksstück Anzengrnbers. Das Wesentliche heben sie klar her-aus: das Urwüchsige in der Technik, die Verbindung mit der Musik,die volkstümliche Grundlage. Dieser scharfe Blick ist um so mehrzu bewundern, als Keller und Hettuer in der Berliner Lokalpossedoch nur einen ziemlich entarteten Abkömmling des echten Volks-stücks kennen lernten.

Aber freilich besaßen all die leichteren oder ernsteren Volks-stücke der süd- und mitteldeutschen Bühnen und Hamburgs ein sospecifisch lokales Gepräge, daß sich ihnen eine weitere Wirksamkeitvon selbst verbot. Das Wiener Lokalstück aber besaß durch dieunvergleichliche Nassenmischung der buntesten aller Großstädte vonvornherein eine größere Allgemeinheit: die Typen des altwienerPatriziers, desFrüchtls" und Parvenus aus der Stadt wareuvon alters her mit bäurischen und zum Teil außerdentschen Typengemischt. Ferner aber hatte dem Wiener Lokalstück die Tradition