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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1860-1870,

daß erdie deutsche Litteratur mit Goethes Tod aufhören lasse",konnte nur der gekränkte Ehrgeiz einiger kleinen Größen anfbringen,die die Darstellung der deutschen Litteratur lieber in ihrem eigenenNameu gipfeln lassen wollten. Gerade die Kritik der Gegenwarthat von Scherer die bedeutendsten Impulse erhalten. Eiu glän-zender Lehrer, war Scherer (geb. 26. April 1841) schon früh (1868)in Wien Professor geworden; aber seine kräftige Sympathie mitdem aufstrebenden Preußen, die heftigen Rügen gegen die alt-wienerische Gespaßigkeit und falsche Gemütlichkeit, in der er sichmit Auzengruber (Das vierte Gebot") zusammenfand, überhauptdie vielseitige, nach Politik, Knnst, öffentlichem Leben ausgreifendeArt des großen Gelehrten machte ihn auf die Dauer dort un-möglich. An der neugegründeten Universität Straßbnrg ward er(1872) einer der gefeiertsten Lehrer, und das Heroenzeitalter derjungen Hochschule in der lieben alten Goethestadt mit dem herr-lichen Münster und den engen alten Gäßchen am Wasser wirdnicht zum wenigsten auch durch die Erinnerung an diesen hin-reißenden Meister des Wortes verklärt. Es war wohl seine glück-lichste Zeit, so viel ihm anch nach der Berufung in die Reichs-hauptstadt (1877) häusliche Behaglichkeit, rasche Berühmtheit, viel-fältigste Berührungen und Beziehungen brachten. An den politischenKämpfen des Tages nahm er eifrig Anteil, Verehrer Bismarcks,ohne doch den von ihm nach Carlyle gern gepredigten Heroenkultusan dem Reichskanzler so leidenschaftlich wie Viktor Hebn oderTreitschke zn bethätigen; entschiedener Gegner aller partikularistischeuTendenzen; Feind des Ultramontanismus ; vor allem unbediugterVorfechter der Toleranz. Von allen Dingen angeregt, vonüberallher zu thätigein Mitleben aufgefordert, überanstrengteder mittelgroße Mauu mit der hohen Stirn, den fragenden Angen,der so gern in leichter Lebhaftigkeit, lächelnd, lant redend, in dembraunen Sammetjackett über der altmodisch hohen Weste, inrasch vertieftem Gespräch mit Freunden daherschritt, derGelehrteund Schriftsteller reicher Frucht und reicherer Hoffnung", wie ihnkurze Zeit vor feinem Tode Mommsen anredete, seine großen Kräfte;und gerade da er sich so recht auf dem Gipfel fühlte, da er dieFrüchte unendlicher Arbeit mit leichterer Hand glaubte abpflückenzn können, da brach er (6. August 1886) zusammen.

Einen neu erwachenden Idealismus rühmteu wir diesem Jahr-zehnt nach, dessen Knust nicht reich ist, und in dem die Gelehrten