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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
693
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Signatur der Zeit, 69Z

artiger Anschauungen. Die Vorstellung, Deutschland müsse die Vor-macht der neuen Weltkultur werden, förderte auch die Parlamentezu hohem Schwung der Gedanken und der Rede. Die Rede, die dersächsische Generalstaatsauwalt Friedrich v. Schwarze (28. Dez.1870) gegen die Todesstrafe hielt, konnte in ihrer warm empfun-denen nnd doch maßvoll ausgedrückten Menschenliebe der philan-thropischen Blütezeit so gut würdig heißen, wie etwa die von leb-,haftestem sittlichen Ernst getragene und doch rein sachliche großeAnklagerede Eduard Laskers (18291884) gegen die Mißbräuchein der Eisenbahnverwaltung und dasGründertum" (7. Feb. 1873)einem Moralisten jener Periode nicht übel gestanden hätte. Heutzuckt man im Vollgefühl derRealpolitik" die Achseln als obnicht der große Realpolitiker Bismarck gerade damals dem DeutschenReich in der Neuordnung seines Verfassungs- Heeres- und Justiz-wesens die Grundlagen geschaffen hätte, ohne die die Realpolitiküber die alte kleinliche Vorteilshascherei der Diplomaten alter Schulenie hinausgekommen wäre! Ohne die Idealisten, ohne die begeistertenFührer vor allem der damaligen nationalliberalen Partei wäre dasSchwert nie geschmiedet worden, das jetzt jeder Verächter des Feuersglaubt schwingen zu können.

Es war jener Idealismus, den wir kurz vor dem Ausbruchdes großen Krieges heranreifen sahen und den nun der glorreicheErfolg eines von keinem Makel entstellten siegreichen Kampfes umBaterland und Nationalehre zu voller Größe erstehen ließ. Ertönte wider in der neu aufblühenden Beredsamkeit; er schuf auchdie größte Arena für die parlamentarischen Talente: den heilt vonallen Seiten gescholtenenKulturkampf".

Auch er war, mindestens wie er sich entwickelte, ein Kind desueuen Idealismus. Der zu frischer Kraft erwachte Patriotismus,die Kampflust der Überwiuder des Pessimismus, die wachsendeHeroenverehrung hatten an ihm Anteil, freilich aber auch die ver-letzende Überhebnng, die dem Hochgefühl einer neuen, siegreichenWeltanschauung eigen zu sein Pflegt. Heftig und ungerecht in derPolemik waren seine Vorkämpfer, wie Dühring, Haeckel, Treitschte,Scherer es alle auch wareu. Und niemand wird behaupten, daßdieMaigesetzgebung" das Programm ganz innegehalten habe, dasBismarck in der großen Rede vom 14. Mai 1872 (Nach Canossagehei? wir nicht!") vorzeichnete: daß siein einem für die Gewissens-freiheit durchaus schonenden Wege, in der zurückhaltendsten, zartesten