Ernst v, Wildeubruch.
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Aber er läßt sie nicht ausreifen; er nimmt sich nicht die Zeit, siezu studieren; er haßt Ibsen , der so langsam und methodisch seineFiguren kennen lernt und den Rausch des inspirierten Schaffensdaran setzt. Deshalb wirken Wildenbruchs Werke wie eine Reihebewegter Bilder, die ein Zwischenvorhang trennt, gleichgültig da-zwischen gesprochene Berichte im Roman, nebensächlich behandelteFüllscenen im Drama. Deshalb ist er zum Epiker verdorben, dender ganze Weg seines Helden interessieren muß, der Zeit habeumuß — Wildenbruch hat nie Zeit.
In seinen Gedichten dagegen findet die leidenschaftliche Er-regung oft starke Töne:
Besser, vom Vulkan durchflutet,Als ein ausgebrauutes Land,Besser noch ein Herz, das blutet,Als das solchen Frieden fand.
In seinem berühmtesten Gedicht, dem „Hexenlied", mag man wohlfragen, ob es glücklich war, die Beichte des schlimm-heiligen Me-dardus von dem Beichtiger erzählen zu lassen, die er doch besserselbst vor unseren Ohren ablegte; aber die vulkanische Macht diesesAusbruchs wütender Liebe bleibt selbst in dieser Abschwächung nochwirksam. Oder ein Stück, iu dem wir den Gegensatz dieses ner-vösen Temperaments zu der künstlerischen Ruhe anderer Zeiten mitHänden greisen. Paul Heyse hat jenen „Odysseus " gedichtet, denniemand vergessen wird, der ihn las: der heimgekehrte Dulderträumte von Sturm und Wogen und jetzt blickt sein Auge ruhelos:„Wie soll ich nun tragen ein ruhiges Glück?" In wenigenStrophen ein erschütterndes Menschenschicksal, eine meisterhaft ab-gerundete Novelle: der Maun, der aus Kampf und Not gerettetKampf und Not nicht mehr entbehren kann. Ein Höhepunkt —und dann ein stimmungsvoller Abschluß. — Wildeubruch setzt dasGedicht fort; er verlängert es zu „der Odyssee letztem Teil".Odysseus stürzt wirklich in die Flut: „Hier drinuen ist Tod —und da draußen das Glück". Aber draußen hört er den herz-zerreißenden Schrei seines Weibes, und mit eisernem Arm steuerter sich wieder zurück zu Penelopeia , und in den Armen liegen sichbeide. Die sehnsüchtigen Gefühle des Heyseschen Helden werden inkonkrete Thaten umgesetzt, Penelopens Weh verdichtet sich zumgellenden Schrei — der tiefe unlösbare Konflikt wird durch einetheatralische Umarmung, durch ein Schlußtableau ersetzt. Und wenn