Wildenbruchs Persiinlichkeit,
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allem ist es der lebhaft menschliche Anteil des Dichters an seinenFiguren. Eine Zeitlang sah es aus, als sei der moderne Autoran seiner Gleichgültigkeit gegen die eigenen Kinder zu erkennen.Dem gegenüber fühlte das Volk mit Recht in Wildenbruchs „Harold"oder „Quitzows " oder „König Heinrich" etwas von der Traditionder großen Meister.
Bei gleichem Ausgangspunkt blieb Richard Voß (geb. 1851zu Neugrabe in Pommern ) noch viel tiefer als Wildenbruch in derRomantik steckeu. Schon das schwächliche Kind dichtete sich dasLeben bis in alle Einzelheiten um, berauschte sich an Visionen: „Eswaren geistige Morphium-Injektionen, die ich mir gab. Sie halfenmir, meinen elenden körperlichen Zustand zu ertragen, jedoch derSchaden, den sie in meinem Organismus anrichteten, sollte sichüber meine ganze Jugend erstrecken." Auch wohl noch darüberhinaus! — Dann kam der Krieg, und die tapfere Seele begehrtemitzuthun; aber nur als Krankenpfleger konnte „unser Kleines"der Armee folgen. Die großen Erfahrungen steigerten in demTränmer die Visionen bis zu beängstigender Deutlichkeit; er mußtesie sich von der Seele schreiben. So entstanden die „Visioneneines deutschen Patrioten" (1874). Und nun drängte sich, raschernoch als be^ Wildenbruch, Werk auf Werk. Wie dieser (im „NeueuGebot" 1886) ergriff Voß die Tendenzen des Kulturkampfes („Un-fehlbar" 1874, „Savonarola " 1878). Dann versank er in pessi-mistisches Brüten („Scherben, gesammelt vom müden Manne" 1875—1873) und erlangte damit zuerst weitere Beachtung, denn dieseMüdigkeit, diese vornehme Verzweiflung war so weit verbreitet!Das Trauerspiel „Luigia San Feliee" (1882) brachte ihm den Preis,den das Mannheimer Nationaltheater zum Jubiläum der erstenAufführung vou Schillers „Räubern" ausgesetzt hatte: unter 156Stücken schien den Richtern dies „an tragischer Kraft und tieferErfassung allgemein menschlicher Konflikte" dem genialen Vorbildam nächsten zu kommen. Es war ein verhängnisvolles Symptom:auch Voß sollte nie über das Stadium des „Sturmes und Dranges"hinauskommen. Auch ihm ist das wilde Wonnegefühl des zügel-losen poetischen Wahnsinns das höchste Glück des Dichters. Inwirkungsvollen Kontrasten, in pathetischen Reden, in effektvollenSituationen ergeht sich seine Phantasie; das Leben kennt er, wieGoethe von einem Dichter in Bezug auf die Natur sagte, „eigent-lich mir durch Tradition". Aber in diesem rührend gläubigen