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1870—1880.
Dichtergemüt gewinnt das Theatralische fast eine- neue Wahrheit;man möchte die wildesten Effekte sagen lassen, was bei Dumas dieVerlorene sagt: ,1on amour m'a rsnclv. uns ssecmcls virZinits!«So naiv, so ehrlich hat niemand an alle Theatercoups, an alleMonologe voll grenzenloser Selbsterkenntnis, an alle Charakterevon bewährtem Zuschnitt geglaubt wie Voß. Bewegt er sich nunauf einem Boden, der eine gewisse theatralische Vorbereitung mitsich bringt, so mag er eine Art Wirklichkeit vortäuschen: so in jener„Luigia San Felice", wo süditalienisches Naturell und Erregung despolitischen Bürgerkriegs zusammenwirken, um pathetische Reden, umdekorativ wirksame Symbole, vielleicht sogar um wunderbare Cha-rakteränderungen möglich erscheinen zu lassen. Sonst aber hörtman aus diesen wie Wasser sormlos ausgegossenen Versen, in denenParenthesen wie ungeschmolzene Eisstückchen herumschwimmen:
Auf seinen Prntor schaut das ganze Volk(Denn sein war Tempel, Opfertier und Schlachter,Und Bestas Juugsrcmn übten nicht ihr Amt).Er blickt die Göttin an —
aus diesen kouventionelleu Wendungen der Prosa immer nur denVerfasser — einen Dichter, den die Sehnsucht aus der gemeinen Wirk-lichkeit der Diuge fortreißt, ohne daß ihn doch die Kunst zu einerhöheren Wirklichkeit emporzutragen vermöchte.
Ebenso anachronistisch Wirten seine Romane („Die neuenRömer" 1885, „Die neue Circe" 1886, „Dahiel der Konvertit" 1888)mit der hysterischen Aufgeregtheit ihrer charakteristischen Abenteuerund abenteuerlichen Charaktere. Was „Michael Cibula" (1887)allein an Unmöglichkeiten in Psychologie und Kolorit aufweist, läßtsich durch Jahrzehnte unserer Romanproduktion hindurch ander-wärts nicht in gleicher Häufung auftreiben.
Wenn Voß mit seiner schwächlichen Nervosität, seiner senti-mentalen oder überreizten Subjektivität etwas iu ungünstigemSinne „Modernes" hat, das Wildenbruchs robuster Natur gauzabgeht, so vertreten zwei andere Dichter, in denen gleichfalls dieVaterlandsliebe für die ganze Richtuug und für die Oppositionzum Zeitgeist entscheidend wurde, andere, bessere Eigenschaften derneuen Zeit.
Kein stärkerer Gegensatz zu Voß' und Wildeubruchs mit kon-ventionellen Mitteln zu typische» Effekten hinstrebenden Romanen läßtsich finden als die Geschichten von Theodor Hermann Pantenius