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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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Richard Noß, Theodvr Hermann Pantenius ,

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(geb. 1843) aus Mitau . Schon äußerlich bildet der Kurläuder zudem Pommern deu schärfsten Gegensatz. Richard Voß ist von CarlBusse in jener Gesamtkritik älterer Dichter, die wir für Grosse an-zogen, mit Recht in den Nachtrab der Münchener Dichterschule ge-stellt worden: die ästhetische Erscheinung gehört dazu, das wildflackernde Auge und die lebhaft bewegte Kravatte, der weiche Filz-hut und die weiche Stimme. Pantenius ist dagegen, wie ihn einliebevoll verstehender Kritiker, Fedor v. Zobeltitz, schildert,eingroßer breitschultriger Mann, ein ,Eichenstamm<, wie der Held inseinen« Allein und frei< heißt, helläugig, mit kräftiger Stirn undcharaktervollen Zügen und bei vollendeter Höflichkeit sehr ge-radezu, vor allem bis zum Verletzen wahrheitsliebend". Fest undbestimmt steht er in der Wirklichkeit. Seine geliebte kurländischeHeimat ist ihm innigst vertrant, und der eigenartige Duft, der ihreigen ist, liegt über seinen Erzählungen wie über seinen schlichtund anschaulich vorgetragenen Jugenderinnerungen (1898): einDuft, der ans den Niederschlügen einer stürmisch bewegten Ver-gangenheit und aus den Blüten einer stillen, fast weltfremdenGegenwart seine Ingredienzien zieht. Und wieder gehört Panteniuswie Walter Scott und Willibald Alexis zu den echten Meistern deshistorischen Romans, weil er nicht irgend eineinteressante Situa-tion" ans der Weltgeschichte herausschneidet, sondern aus derfließenden Entwickelung eines Stammes die Momente hebt, die dieinnersten Grundzüge der nationalen Individualität erblicken lassen.In seinem besten, reifsten Werk,Die von Kelles" (188S), sehenwir den kurländischen Adel der Resormationszeit vor uns in wun-derbar kräftig erfaßter Eigenart; und die leisen Andeutungen desAutors genügen, um uns herausfühlen zu lassen, was der Zeit alleinund was dem kurländischen Wesen überhaupt angehört. Und dieZeit mit ihrer wilden Vergeudung prächtiger Anlagen, mit ihremkanm zu entwirrenden Durcheinander der politischen, konfessionellen,socialen, persönlichen Gegensätze ich wüßte nicht, wo sie wirk-samer gezeichnet wäre.Zwecklose Kraft unbändiger Elemente"überall im Naufeu wie im Saufen, im Pläneschmieden wie imPrahlen. Vor allem die prächtigen Trinkgelage haben ihresgleichennur in einem Buch, das nicht unserer Litteratur angehört: inSelma Lagerlöfs Gösta Berlingssaga" (1895), dieser modernenschwedischen JliaS. Was thut es, daß die ernsten archivalischenStudien des Lokalpatrioten sich gelegentlich zn stark bemerkbar