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1370—1880.
aber eine unerreichte Technik der Accentverteilung im Satz wirkenzusammen. Und doch genügte seinem hohen Kunstgefühl dieseMeisterschaft des Ausdrucks für einen individuellen Gedanken nochnicht. „Ich erhäschte diese Einsicht unterwegs und nahm rasch dienächsten schlechten Worte, sie festzumachen, damit sie mir uichtwieder davonfliege. Und nun ist sie mir an diesen dürren Wortengestorben und hängt und schlottert in ihnen — und ich weiß kaummehr, wenn ich sie ansehe, wie ich ein solches Glück haben konnte,als ich diesen Vogel fing." Wahrlich, der so fühlte, war nicht ge-macht, Systeme und Encyklopädien voll trockener „Vollständigkeit"zu schreiben. Aber ebensowenig konnte er sich, wie Lichtenberg oderdie großen französischen Klassiker der „?<znLsss°, La Rochefoucauld ,Pascal, Amiel, mit einer Sammlung solcher einzelnen „Vogel-käfige" begnügen. Ein Aphorismus soll den anderen beleuchten,stützen, abrunden — so entstehen künstlerisch, nicht logisch, geordneteRosenkränze. Und höher hinauf strebt er, die Einzelheiten zu einemGewölbe aufzurichten, in dem ohne Leim und Mörtel jeder Steinfür sich bleibt und doch das cyklopische Gefüge jeden für das Ganzeunentbehrlich macht. So entstehen aus den Sammlungen einzelnerAphorismen Kapitel, Bücher, schließlich die ganze Zarathustrabibel.Welche großartige poetische Schöpfung ist vor allem dieser Zara -thustra selbst, ein Faust, der den Teufel überwunden hat, derwirklich erkannt zu haben meint, „was die Welt im Innerstenzusammenhält", und nuu in großartiger Einsamkeit durch dieMenschen schreitet, uur von seinen symbolischen Tieren begleitet wieder Odhin der germanischen Mythologie! Hier ist die Borahnungeiner neuen großen Epik, die aus den Erlebnissen des modernenMenschen ein Heldengedicht von symbolischer Bedeutung aufbaut.Und die Prophezeiung einer neuen Lyrik liegt in großen Gefühls-ausdrücken wie der prachtvollen Apostrophe „O meine Seele!"(„Von der großen Sehnsucht" im dritten Teil des „Zarathustra ")mit ihrer echt lyrischen Hingabe an die Stimmung des Denkenden,Versunkenen. Die eigentlichen Gedichte wollen daneben mit wenigen ^Ausnahmen — den Hymnen Zarathustras — nicht allzu viel be-sagen. Als Zeugnisse sind sie wertvoll; selten als Kunstwerke. Siesind Kinder der leichteren Stunden: in der wunderbaren Krafteiner ueuen Prosa zeigt sich erst ganz das großartige Ringen dieserSeele, die es dürstete „nicht nach Glück, sondern nach seinem Werke".In jedem Satz sehen wir ihn da in seiner Größe: immer ein sehn-
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