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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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733
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Nietzsche als Lehrer. 733

süchtiger Prophet, immer ein furchtloser Kämpfer, immer ein glück-licher Künstler. Wie wäre die Zukunft zu preisen, wenn derÜbermensch kommender Tage diesem Vorboten gliche!

Gerade diese hohe künstlerische Begabung fehlt Nietzsches Schülerngrößtenteils. Nietzsches Schwester, Elisabeth Förster-Nietzsche (geb. 1846), ist hier zuerst zu nennen, seine älteste und treuesteSchülerin, die unermüdliche Pflegerin seiner geistigen Habe, seinekougeniale Biographin und Erklärerin. Jüngere wie Paul Lanzky(geb. 1852:Abendröte" 1887,Aphorismen eines Einsiedlers"1897), Fritz Koegel (geb. 1860, früher an der Nietzsche-Aus-gabe hervorragend beteiligt:Vox llumana" 1892,Gastgaben"1894), Rudolf Steiner (geb. 1864, ebenfalls früher Mitheraus-geber) und der Pseudonyme Paul Mongre (Sant' Jlario" 1897:das bedeutendste Buch unter diesen Zarathnstra-Apokryphen) stehenin Gedankenrichtung und Formgebung gleich stark unter dem Ein-fluß des Meisters, der weiterhin auch die neuere Kunstlyrik streugenStils bei Stefan George uud anderen mächtig beeinflußt hat.Wiederum Paul Ree oder Lou Andreas-Salome haben vonNietzsche den stärksten Anstoß empfangen, ihm auch selbst etwasgeben können, Ree in dem kräftigen, aber etwas englisch -materia-listischenReealismus" (nach Nietzsches Scherzwort) seiner Morak-analysen, Frau Lou mit dem von Nietzsche komponierten und oftihm zugeschriebenenHymnus au das Leben"; später hat sie eineentschiedene Kluft getrennt, die auch in der Nietzsche-Biographieder Fran Lou (Friedrich Nietzsche in seinen Werken" 1894) sichbemerkbar macht.

Ob Carl Spitteler (geb. 1845 in Liestal , Kanton Basel-Land) ein Schüler Nietzsches ist, weiß ich nicht; hat er von Nietzscheetwa direkt nichts gelernt, so wäre eine innere Verwandtschaft umso stärker bezeugt. Freilich ist Spitteler nicht nur der unendlichkleinere Denker, sondern auch der viel geringere Künstler. Es fehltseiner Sprache weder an störenden Bequemlichkeiten, noch an eigent-lichen Verstößen, als wolle er (wie der junge Goethe nach Lichten-bergs Urteil)durch Prunkschnitzer die Sprache selbst originellinachen". Am auffallendsten verletzt in seinen älteren Büchern derbeständige Mißbrauch des absoluten Genetivs: finsteren, haßerfüllten,feinen, schrägen Blickes, heftigen Errötens, blinden Laufens, uner-träglichen Empfindens; er rief leidenfchaftlichen Verwehrens; undtödlichen Verzweifelns sucht' er immerfort umher. Nebeu dieser