Print 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Place and Date of Creation
Page
737
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 
  

Die Brüder Hart als Kritiker.

737

hingegen als Kritiker und Journalist durchaus nicht an seinem Platz,so gilt von den Brüdern Heinrich und Julius Hart (geb. 1855und 1859) genau das Gegenteil. Julius Hart vor allem, der be-deutendere der beiden Brüder deren brüderlich-liebevolles Ge-meinschafts- und Kampfleben Ernst v. Wolzogen in seinemLumpen-gesindel" in lustiger Übertreibung geschildert hat gehört zu den ver-dienstvollsten Kritikern, die wir überhaupt besitzen. DieKritischenWaffengänge" (1882) der Brüder, in denen er führte, gehören zuden wichtigsten Vorboten einer neuen Kunstperiode, die sie eröffnenhalfen. Wie Julian Schmidt Gutzkows tendenziöse Unkunst, wiePaul Lindau Julian Schmidts moralisierende Personalkritik, so ent-thronte jetzt Hart Paul Lindaus frivole Effektkritik. Hoch faßtendie Brüder die Aufgabe des Kritikers:Wagt es nur, ein Decenniumlang mit den Waffen des Spottes und des Pathos die trivialenAnschauungen der Menge zu züchtigen, lenkt ihre Blicke nur zu etwasHöherem empor . ." Sie haben es gethan, und wahrlich nicht ohneErfolg. Es gelang ihnen, diemürrische, greisenhafte Ansicht zubekämpfen, als seien wir rettungslos dem litterarischen Epigonentumverfalleu", für neue Kunstden moralischen Boden zu schaffen odervielmehr zu festigen". Tapfer griffen sie Tagesberühmtheiten an, indenen sie Hindernisse sür die Entwickelung einer frischen Kunstsahen: Kruses Drama mit feinem abgestandenen Idealismus, TrägersLyrik mit ihrer Schwächlichkeit und Unwahrheit, Spielhagens Epikmit ihrer Inkonsequenz. Eher vergriffen sie sich, wo sie lobten undetwa Schacks kühle Bildungspoesie auf den Schild erhoben. Aberauch hier folgten sie nicht subjektiver Willkür, sondern ihren idealistischenPrinzipien; und das war ihr Verdienst, daß sie wieder Prinzipienhatten.Das erste Axiom eines Gesetzbuches für die Kritiksollte lauten: das bloße Urteil ist nichts, die Begründung ist alles."Die ernste, sachliche Begründung macht die mannigfaltigen Bespre-chungen der Brüder in ihrem eigenenKritischen Jahrbuch" (1889,1891) und später in zahlreichen Zeitungen so wertvoll; ich habe nieeine Recension von Julius Hart gelesen, aus der nichts zu lernengewesen wäre.

Aber freilich Kritiker mit Prinzipien werden felten be-deutende Dichter sein. Aus der Kritik sind alle Werke von JuliusHart geboren, viel viel mehr als etwa bei dem größten, aber auchtemperamentvollsten Kritiker Deutschlands, bei Lessing . Der Ver-sasser einerGeschichte der Weltlitteratur" (18941897), der

Meyer, Litteratur . 47