Die Brüder Hart als Dichter. 739
gehört er nicht, die Zarathustra verachtere; nein, zu den Wenigen,den neuen Menschen.
Der ältere Bruder ist, wie der Mngere, zuerst mit philoso-phischer Lyrik („Weltpfingsten" 1878) hervorgetreten, in der trivialeTöne und allzu bequeme Reime die Freude an dem tiefen Ernst desringenden Dichters verderben. Später kam er, wieder ganz aus derTheorie heraus, zu dem großen Fehlgriff seines „Liedes der Mensch-heit" (seit 1887). Schack hatte in seinen „Nächten des Orients"die Kulturgeschichte in farbenprächtigen Gemälden zu entwickeln ver-sucht; bei seinem Bewunderer blieb die verfehlte Grundidee übrig,die Kunst der Ausführung versagte. Weil die Idealisten die Klein-krämerei der Specialisten verachteten, sollte nun der „große Gegen-stand" an sich große Kunst verbürgen. Und das bei Kritikern, dieso energisch betont hatten, auf das Wie komme es an, nicht aufdas Was! Aber nur das Was konnte an diesem in 24 Erzählungenentworfenen Epos imponieren: der Versuch, „die gesamte Entwicke-lung des Menschen und der Menschheit von ihren dämmernden An-fängen bis zur tausendfarbigen Gegenwart herauf und damit zugleichdie gesamte Natur, alle Typen und Charaktere des Menschentumszu umspannen". Das klingt großartig; leider aber bringen „Tulund Nahila", „Nimrod", „Moses" statt der versprochenen Fülle nur,was Linggs „Völkerwanderung" auch brachte: mühsam in monotoneVerse gebrachte kulturhistorische Schilderungen. Die Kritik staunte:noch niemand habe sich eine so große Aufgabe gestellt. Als ob dieGröße einer Aufgabe von dem zeitlichen Umfang des behandeltenGegenstandes abhinge! Friedrich Wilhelm I. vertrieb sich, wenn dieGicht ihn Plagte, damit die Zeit, daß er seine Riesengrenadiere ab-konterfeite; ist nun solch ein Bild wirklich um des „großen Gegen-standes" willen bedeutender als ein Kinderporträt von Velasquez ?Auf die geistige Durchdringung des Stoffes, auf die individuelleNotwendigkeit der Form kommt es an; in einer kleinen Novellevon Fontane oder Gottfried Keller steckt mehr „Entwickelung desMenschen und der Menschheit", steckt vor allem mehr echte Poesieals in diesen mühsam gepinselten Wandbildern zum kulturhistorischenAnschauungsunterricht.
Es ist etwas Jungdeutsches in den Brüdern Hart. So schroffauch der Jüngere über jene Schule urteilt — ihre Neigung, neueKunstformen zn konstruieret?, ihre kritische Befähigung und ihrepoetische Unzulänglichkeit erinnert an die Wienbarg uud Mundt und
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