Signatur der Zeit.
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Soll man für das Jahrzehnt von 1880—1890 nach einemGeneralnenner suchen, so kann sich nur ein Wort anbieten, vielverrufen, und doch nicht ohne den Oberton geheimer Vorzüge: Ner-vosität. Nervös ist man in diesem Jahrzehnt, wie man es kaumin den Tagen Solitaires und der Gräfin Hahn war; nervös istman allgemein, wie zur Zeit der Romantiker nur die Privilegiertenes waren. Eine unruhige Hast überall: in der Gesetzgebung wieim Kunstgcwerbe, in den Moden wie in den Weltanschauungen.Mit atemloser Unruhe wirft man sich von der einen Seite auf dieandere. Die Entlassung des Reichskanzlers, der fünfundzwanzigJahre lang der politischen Welt das Gepräge seines Geistes auf-geprägt hatte, besiegelt nur am Ausgang dieser Epoche eine Zeit vonGärungen und Wallungen, die längst, noch unter dem alten Kaiser,eingesetzt hatte. Unsere auswärtige Politik wird nervös und regtsich bald an Spanien, bald an der Schweiz in schwer begreiflicherWeise auf, während im Inneren die Verfolgung der jeweiligen„Reichsfeinde" immer erbitterter wird. Ihren Höhepunkt erreichtedie Aufgeregtheit der immer mehr ins Persönliche ausartendenKämpfe bei dem sogenannten Septennatsstreit (1887), bei dem dasObjekt des Kampfes zuletzt völlig vergessen ward.
Zur Verschärfung der Gegensätze diente überall ein ungesunderHeroenkultus. Germanische Art ist es, den Heros zu lieben; fremde,ihn zu vergöttern. Jetzt hieß es auch bei uns von Bismarck , wieder General Kleber zu Napoleon gesagt hatte: „Ihr seid groß wiedie Welt!" Der geringste Zweifel war sofort Hochverrat; eineKritik, vielleicht aus liebender Bewunderung geboren, hieß sofort„Nörgelei". Auf der anderen Seite wuchsen die BeschimpfungenBismarcks ins Unendliche, bis schließlich Liebknecht in ihm einenelenden Plagiator schlechter russischer Diplomatenkünste erkannte!— Die gleiche Leidenschaftlichkeit machte immer noch den ruhigerenBewunderern Richard Wagners das Leben schwer; der gleiche Fana-tismus begann langsam für und wider Nietzsche zu streiten; diegleichen Unbedingtheiten wurden in die Parteilager der bildendenKunst getragen. Luther, Friedrich der Große, Goethe sind bei Leb-zeiten kaum je so präkonisiert worden wie nun die Heroen derneuen Zeit. Fast slavisch schien der Götzendienst, der mit Reli-quien getrieben wurde, mit dem Schweißleder aus BismarcksSchlapphut, mit den Fundstückchen in Österleins Wagner-Museum,wie einst mit Ziskas Überbleibseln. Es war auch etwas von süd-