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1880—1890.
europäischer Aufgeregtheit darin, Reliquiendienst, Fußküssen. Unddennoch war auch ein Höheres dabei: die Ehrfurcht vor dem Geniewar eine Vorbedingung für die Erneuerung des Volksgeistes; manhatte sie so verlernt, daß ihre Übertreibung verzeihlich war.
Der gleiche Götzendienst zeigte sich in der atemlosen Hast derkunstgewerblichen Moden. Ein falscher Stil jagte den anderen.Auch hier Bilderdienst: heut betete man einen steifen Renaissance-stnhl an und morgen einen geschweiften Rokokotisch — aber immerausschließlich, fanatisch. Heute war Heil nur in der „Überwindungdes Stoffes", morgen nur in der „Kunst, den Stoff sich selbst aus-sprechen zu lassen". Von dem gesuuden Lernen anderer Zeiten lagdies Verschlingen mit Haut und Haar so weit ab wie jener blind-wütige Heroenkultus von der liebevollen, echtgermanischen Ver-senkung in die Individualität, mit der frühere Zeiten etwa denalten Fritz geliebt hatten: sie leugneten seine Schwächen nicht, abersie ehrten sie als Teil des unvergleichlichen Ganzen. Jetzt hieß esphiliströs und borniert, irgendwo einen „Flecken an der Sonne "zu sehen. Die Ehrlichkeit in der Kunst litt hier wie die Wahr-haftigkeit in der Politik dort unter den sich befehdenden Fana-tismen.
Bald genügte dem neuen Individualismus ein nationaler Gottoder Götze nicht mehr. Bedürfnis ward es, Lokalgötter, Moment-götter zu haben. Hier ward ein Parteiführer von Talent, aberohne jede Größe als „zweiter Luther" gefeiert; dort baute maneinem kleinen Dichter Altäre oder streute doch Hamerling Weih-rauch, als fei er ein Dante. Korybanten schimpften dann wackerauf das „ohrenfeuchte Journalistentum und impotente Professoren-tum", das den betreffenden Einzigen nicht genügend anerkannte.Diese Sitte hat sich nach 1890 eher noch gesteigert. Überall im Landegedeihen solche Lokalkulte. Nicht bloß Friedrich Hebbel und RichardWagner, sondern auch Martin Greif und Liliencron , Dehmel undPrzybyszewski haben ihre Priester. Dabei bewährte sich die alteErfahrung: je ärmer der Gott, desto fanatischer der Priester. Ichwerde es wohl am eigenen Leibe zu spüren haben.
Diese Hast der neuen Kulte teilte sich sogar der Wissenschaft mit.Eine krankhafte Sucht nach „überraschenden Resultaten" führte zuden erbaulichsten Ergebnissen. Einer entdeckte, daß Rembrandts Werke von Ferdinand Bol gemalt seien, und sand erst großen Beifallmit seiner „Nengründung der niederländischen Kunstgeschichte"; und