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1880-1890.
Frieden" die breite völkerpsychologische, zumal in „Anna Ka-renina " die sociale Basis; hier war schärfste Erfassung der Einzel-heiten, wie sie der geübte Jägerblick des Slaven schon bei Tur-genjew gezeitigt hatte; hier war dabei die starke Eigenheit einerPersönlichkeit von ausgesprochenster Selbständigkeit der Welt-anschauung. Das religiöse Element in nationaler Färbung — da-nach begehrte man auch in Deutschland ; den „deutschen Gott" wollteRichard Wagners Schüler, Heinrich v. Stein, dem Volke wiedergeben,und Hans Herrig, Paul de Lagarde, Julius Hart, soust in nichtseinig — national-religiöse Gesamtempfindung strebten sie alle an.Den tiefsten Eindruck vielleicht machte Tolstois „Macht der Finster-nis " (1887): ein realistisches Drama von starker Kraft der Cha-rakterzeichnung und noch stärkerer der Weltanschauung. Der Gegen-satz zu der herrscheuden Kompromiß-Moral, der leidenschaftliche Ernstder sittlichen Forderung wirkte in unserer Welt der laxen Halb-heiten wie ein Wunder. Der christliche Übermensch, der die Weltdurch Bedürfnislosigkeit, durch Wahrhaftigkeit, durch Liebe über-windet, trat ueben den genial-heidnischen, wie bei Schopenhauer Geuieund Heiliger die Höhepunkte der Menschlichkeit bedeute».
Ein realistisches Drama kam auch von Schweden her. AugustStrindberg (geb. 1849) gehört zu jenen Schwachen, die ihreMeinung immer nur auf dem Umweg über die Befragung der herr-schenden Ansicht erlaugen: diese zu negieren halten sie dann, wieFriedrich Schlegel, für originell. So kam er, wie Friedrich Schlegel ,vom fanatischen Widerspruch gegen die herrschende Moral zur Unter-werfung unter die katholische Kirche, von Nietzsche zu Swedenborg .Aber auch er besaß das scharfe Auge der Nordleute, ihre gern typi-sierende, aber nie oberflächliche Psychologie. Seine Romane habenmehr Staunen als Nachfolge gefunden; nur Hermann Bahr wardin feiner „Guten Schule" (1890) zum Nachahmer des Autors von„Am Meer". Aber seine leidenschaftlich-tendenziösen und fanatisch-realistischen Tragödien „Der Vater" (1887) und „Fräulein Julie "(1888), letzteres mit einem sehr geistreichen dramaturgischen Vor-wort, machten tiefen Eindruck. Man fühlte: dieser Mann ist vonseinen persönlichen Empfindungen so ganz ausgefüllt, daß er sie zuGestalten verdichten muß, um mit ihnen zu kämpfen. Lanra im„Vater", der Lakai iu „Fräulein Julie " — was sind sie, alstypische Verkörperungen des Weibes und der Bedientenseele, wieNietzsches Verehrer sie verabscheut? Er muß sie auf die Bühue