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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1880-1890.

kratischen Künstlerseele und dem Kollektivismus eines treuen Dienersder neuen Zeit schwankt er hin und her. Er begann mit demDramaDie neuen Menschen" (1888), das ein feiner Kenner,Edgar Steiger , alsden traurigen Sang vom Ubergangsmenschen"charakterisiert,dessen Gedanken der großen Zukunft, dem Erlösungs-werke der Menschheit, gehören, während sich sein Herz mit allenFasern an die kleine Gegenwart, an das geliebte Weib, an daswarme Leben klammert" das rechte Präludium zu seinem Lebens-werk. Dann kommt der Individualist unter den Einfluß von Nietzsche und besonders Strindberg, verspottet die Massenpolitiker mit Ibsen (La marquesa d'Amaegui" 1888,Die große Sünde" 1889) undschreibt einen hypernervösen Roman voll Strindbergscher Weiber-verachtung und krankhafter Sinnlichkeit, gespickt mit kunstkritischenBemerkungen und Gallicismen (Die gute Schule" 1890). Strind-bergsVater" giebt er die widerlich überkünstelteMutter " (1891)zur Seite. Aber an der Produktion findet er kein Genüge. Sieentfernt ihn zu lange vom Genuß der Kunst. Individualitätennachleben das wird für ihn wie für Conrad Fiedler die höchsteLebensfreude. Der damals in Schwung kommende Kunstausdrucksuggerieren" wird sein Lieblingswort; er ist sich seiner Existenz nurbewußt, wenn und soweit er sich von anderen, Dichtern, Malern,Politikern Empfindungen und allenfalls Gedankensuggerieren"läßt. So wird er zum hervorragendsten impressionistischen KritikerDeutschlands . Zahlreiche Sammlungen (Zur Kritik der Moderne"1890,Die Überwindung des Naturalismus" 1891,Renaissance"1897) bringen uns Porträts von Größen und Scheingrößcn derZeit, oft mit Lenbachischer Willkür stilisiert, inimer geistreich, immersubjektiv wahr, immersuggestiv". Er sucht das Wesen derMo-derne" der nicht mehr entbehrliche Ausdruck stammt von Bahr,er sucht aus dem Schatteu des kommenden Gottes seinen Umrißabzulesen. Dann, um 1893, bekehrt sich der aristokratische Indi-vidualist wieder zum Diener der Vielen.Der Mann hat gehorchengelernt; er entsagt sich, er weiß, daß er nicht allein ist; er hateine andere Leidenschaft: er will helfen, will wirken. Er fühlt,daß die Welt nicht da ist, um sein Mittel zu sein, sondern er fürsie, um ihr Diener zu werden." Tendenzen sind jetzt die Haupt-sache für ihn nicht mehr Individualitäten. Aber er faßt denBegriff der neuen Zeit ganz lokal, persönlich: eine österreichischeKultur erklärt er jetzt als sein Endziel. Der Schüler der fran-