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1880—1890.
Die Kunst, den Roman wirklich zn einem psychologischen Experimentzu gestalten, wie Ibsen das Drama, besaß man noch keineswegs;und von Zola war sie nicht zu lernen. Er war selbst ein Doktrinär,der mit den typischen Erlebnissen typischer Figuren nur Sätze illu-strieren wollte, die ihm längst feststanden.
Emil Marriot (Emilie Mataja, geb. 1855 in Wien ) ist auchder Tendenz nach streng konservativ; mindestens in religiöser Hin-sicht als überzeugte Katholikin. Aber das Problem des typischenFrauenschicksals bewegt sie zu anklagenden, leidenschaftlich bewegtenDarstellungen; wie der Mann rücksichtslos mit dem Glück derFrau spiele, ist das Lieblingsthema ihrer Novellen (1887, 1895).Auch im Roman gilt die Liebe ihr als Verhängnis. Hier hat sieeinmal einen starken Erfolg erzielt („Der geistliche Tod" 1884),als sie sich auf den Boden des uralten, ewig dankbaren Problemsder Klerikerliebe begab, das sie dann noch weiter in ihren Priester-novellen („Mit der Tonsur") angegriffen hat. Später („ModerneMenschen " 1893 „Seine Gottheit" 1896) hat sie die vielleicht über-triebenen Erwartungen nicht erfüllt, die man an jenen talentvollenErstling knüpfte; sie blieb in romanhaften Erfindungen befangenund konnte sich aus einem altmodisch steifen Stil („Ein kalterSchauer kroch durch Paulas Gebein") nicht loswickeln. Naiv, un-geschickt und altmodisch ist und bleibt auch ihre Technik. Zufälligsteht man hinter der Thür und erlauscht ein wichtiges Gespräch;aus Versehen kommt ein junges Mädchen im Hemd zum Arzt, un-mittelbar vorher stand ihr noch ein Hauskleid zur Verfügung.Selbst noch Angesichts des Todes spricht man in Romanphrasen:„Mein Abscheu kehrt sich nicht gegen dich, sondern gegen die Liebedes Mannes im allgemeinen."!
Schriftstellerinnen treten jetzt überhaupt auffallend stark her-vor. Auch diesen stärkeren Anteil des weiblichen Geschlechts an derkünstlerischen, besonders der litterarischen Arbeit teilt das Jahrzehntder „Moderne" mit den Perioden des Jungen Deutschlands undder Romantik. Die Frauen als das nervösere Geschlecht fühlen sichdurch eine vielverheißende Bewegung im Innersten erregt. Diesgilt für Naturen wie Helene Böhlau und Gabriele Reuter . DieZurücksetzung des rein Formalen und Technischen, die solche Zeitengeistiger Umformung notwendig mit sich bringen, erleichtert ihnendie Mitarbeit, insofern die künstlerisch wirkenden Frauen — sei esnun Naturnnlage, sei es nur Folge der Erziehung und Gewöhnung