Margarethe v. Bülow.
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Sinnlichkeit neben der robusten Unsittlichkeit etwa eines Sacher-Masoch.
Wie gesund — nicht im philiströs-moralischen, sondern im ästhe-tischen Sinne — nehmen sich neben diesem künstlichen Gestammeldie vielversprechenden Anfänge einer jungen Dichterin aus, die zumAusreifen nicht kam nicht durch ihre Schuld, sondern durch ihrSchicksal. Margarethe v. Bülow (1860 — 1885) aus Berlin hat in ihrer Sprache unerhörte Küuste nie versucht. Im Roman(„Aus der Chrouik derer von Nifselshausen", erschienen 1887;„Jonas Briccius", erschienen 1886) und in der Novelle („NeueNovellen", erschienen 1890) ist sie Luise v. Fran^ois verwandt: diedidaktische Tendenz nnd speciell deren aufgeklärte, bürgerlich-moderneSpitze, die schlichten Mittel des Vortrages, der große Ernst sindden beiden Damen aus alten Beamten- und Offiziersfamilien gemein.Freilich hat „die schöne achtzehnjährige Krast" (wie Mauthnersagt), die die „Chronik" schrieb, die Sicherheit der Charakter-zeichnung nicht besessen, die in der „Letzten Reckenburgerin" inErstaunen setzt; sie hat sie auch später nicht erreicht. Aber siehat den „Wolfshunger nach Menschen" vor Luise v. Frankensvoraus, das unersättliche Interesse am Menschen, an den Pro-bleinen des Lebens. „Ich möchte sie manchmal ans der Straßeanfallen und sie zwingen, daß sie mir mitteilen, was sie denkenund empfinden." Sie nahm an der socialen Bewegung eifrig An-teil; noch näher ging der Schülerin Herrnhuts die religiöse Ent-wickelung. Daraus erwuchs ihr großer psychologischer Roman„Jouas Briccius" — eiu „Aufklärungsroman", wie es „Be-kehrnngsromane" giebt. Sie hat dem Helden, der sich vom härtestenFanatismus zum sreien Menschentum durcharbeitet, viel vom Eigenengegeben. Vor allem die innere Güte. Indem Margarethe v. Büloweinen fremden Knaben, der auf dem Rummelsburger See einge-brochen war, rettete, fand die Gute, Kluge, Tapfere mit dem über-legenen Lächeln um die feinen Lippen einen schönen Tod. DieEisdecke schloß sich wieder; wer denkt noch an dies mntige Talent?Aber über das Eis fahren die Schlitten mit den silbernen Klingeln.
Ein Tendenzroman muß laut sein, wenn er wirken soll; ohneetwas Geklingel geht es da nicht. Im allgemeinen sind Kunstfehlerhier sogar förderlich. Dick aufstreichen, weiß und schwarz so schönübersichtlich verteilen, wie es Gabriel Max aus seinen Tendenz-bildern („Der Gelehrte") thut, in schnurgerader Entwickelung von