778 1380-1890.
blütenweißem Leinenzeug und wuchsen und wuchsen und nahmen
ihm Lust, Licht und Atem, die Freiheit der Bewegung." So ist
es überall iu der Welt, nach der Anschauung unserer Dichterin
wenigstens. Die Felsen der gemeinen Nützlichkeit und die Mauern
der trivialen Gewohnheit engen jeden hohen Flug zu engbrüstigem
Wollen ein. Die Tragik der brachliegenden Anlagen zum Großen »
und Schönen ist das Lieblingsgebiet, eigentlich das einzige Gebiet
ihrer Dichtungen. Das erscheint ihr als das Furchtbarste: „daß
die gewaltigste, lebenerschütterndste Leidenschaft zwecklos, ohne Glück
oder Tod gebracht zu haben, wieder verrinnen könne". Glück oder
Tod! Würde die leichtsinnige Schöne, von der Schönheit Valentins
geblendet, sein eigen, oder tötete ihn die Erregung im höchsten
Augenblick — seiu Leben wäre ein Kunstwerk, herrlich vollendet. Nun
verwischt die große Pfuscherin, das Leben, den wundervollen Entwurf.
Langsam füllt — was gauz herrlich geschildert ist — die Schönheit
von ihm ab; und bald haben die in Häßlichkeit und Gewöhnlichkeit
seligen Philister an ihm nichts mehr auszusetzen. „Die Jahre
gingen hin, da saß Valentin in einem schönen, geblümten Schlafrock
auf einer grüuen Bank vor der Hausthüre" . . . Ich kenne wenige
Autoren, die die erschütternde Tragik des stumpfen Behagens so
fühlbar zu machen wüßten.
Inzwischen aber ward sie selbst durch eigene Ersahrungeuvon der ästhetischen Traner dieser ersten Periode zu eiuer zweite»Periode des moralischen Ankampfes geführt. Das Hauptwerkdieser Periode ward „Der Rangierbahnhof" (1896). DieLeidenschaft wächst; immer intensiver lebt sie mit ihren Figuren, inihren Problemen; immer mehr wird ihr das Dichten Notwehr gegendie Existenz. Aber die Poesie sänftigt diese anwachsende Leiden-schaft immer weniger. Sie durchdrang die Schöpfungen der erstenPeriode; sie tritt in der zweiten neben der Kraft schon zurück; sieist in der dritten nnr noch im stände, verklärend hier und da hin-einzuleuchten in Erfindungen voll innerer Unschönheit, aber freilichvon erschütternder Kraft.
Der „Rangierbahnhof" ist ein sprechender Beweis dasür, wiewenig schulmäßige Termini einem lebendigen Kunstwerk gegenüberverfangen. Realistisch durch und durch, ist er durch und durchsymbolistisch. Jede Einzelerscheinung wird nur als Vertretunggrößerer Erscheinungen aufgefaßt; und jede flicht doch „das Mensch-liche, das Einfache, das Tieswahre" zu geben. Aber wenn beide