„Der Rnngierbahnhof"
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Tendenzen sich durchdringen, so sind doch nicht beide in gleich ge-läuterter Kraft zu Worte gekommen.
Als realistisches Lebensbild nimmt der Roman einen sehr hohenRang ein. Mit ihrer ganzen Leidenschaftlichkeit hat sich die Dichterinin die Charaktere versenkt. Die Hauptgcstalt, die arme Olly, dieins Leben verirrte Jdealistin der Kunst mit ihrem glühenden Ruhm-bedürfuis, ihrer nervösen Arbeitskraft, ihrem naiven, gegen dasBefinden auch der Nächsten gleichgültigen Egoismus ist gewiß nichtohne Züge von Helene Böhlau selbst; daneben soll auch das Ver-hältnis der Marie Bashkirtseff zu dem großen realistischen MalerBastien-Lepage als Vorbild gedient haben. Aber sie ist zu einer Figurvon typischer Bedeutuug herausgemeißelt. Nicht nur die „strebendeFrau" unserer Tage, nein, der suchende Mensch selbst mit seinerKrast und seiner Hilflosigkeit, seinem Idealismus und seinem bisan die Grenzeu der Brutalität gehenden Ich-Kultus ist hier ge-malt; und seine typische Umgebung: die nervos-überreizten Pflegerder jugendlichen Anlage, die gutmütig-ironischen, gegen deu Künstleriudifferenten Freunde des Menschen, endlich — zn spät — dieliebevoll erkennenden Lehrer. Dabei bleibt Olly durchaus indi-viduell mit ihren kleinen Eigenheiten in Rede, Haltung, Denkweise:ein Stück immer frischer, glücklicher „Unreife" neben reifstem Können:und in jeder Phase der Entwickelung wieder eine andere: andersdie übermütig revoltierende „Tante Rebella" des unruhigen Künstler-hauses, anders die fieberhaft lernende junge Frau, anders die end-lich im Glück des Verftandenseins ausblühende — nnd zerblätterndewelke Rose. Um diese Hauptfigur nun eine ganze Reihe lebens-wahrster Prachtfignren. Dieser phlegmatische Bruder Emil allein, indem die Nervosität der „vergeistigten" Familie ihre naturgemäße Re-aktion findet — wenn er sich mit der Hand auf feine kleinen fettenSchenkel klopft und im schnellsten Tempo „Verflucht! verflucht! ver-flucht!" ruft oder seinen merkwürdigen zweiten Lieblingsausdruckbraucht, so treten vor der Rundheit dieser realen Erscheinung tausendandere Romanfiguren in den gebührenden Nebel. Die Verfasserin ver-steht es eben, was den französischen Kritikern als Hauptsache erscheint:„rosttrs un lzonnoinins sur sss piecks, 1s tairs marekör"; un-gezwungen, mit innerer Notwendigkeit bewegt er sich. Und Köpperl,der Meister, gewiß nach Münchener Modell gearbeitet — wie indi-viduell, wie notwendig ist er wieder in seinen Wendungen, seinenBewegungen, dem Stil seiner Gedanken. „Ideale Gestalten" im