„Halbtier". 783

technisch nicht so hochstehend. Auch in der zeitgenössischen Roman-litteratur außerhalb Deutschlands kommt nur das Allerbeste diesemWerke gleich: Rudyard Kiplings „I^lit tl^k. taileä", AnatoleFrances ..liötisssris cls lg, ksins ^sclau^us"; aber nur eineepische Dichtung unter deneu lebender Autoren stelle ich höher: SelmaLagerlöfs „Gösta Berlingssaga".

Leider aber hat Helene Böhlau selbst sich auf dieser Höhe nichtzu halten vermocht. Schon „Das Recht der Mutter" (1897) zeigtueben reizenden Kinderschilderungen Karikaturen, die ganz zerfressensind von dem. „Gift, das Unzufriedenheit, Freudlosigkeit, Kraftlosigkeit,der große hoffnungslose Druck des Lebens aus uns herauspresseu."Die dritte Periode zeigt sie ganz im Banu der Tendenz, ganz im Zwangdes Symboldienstes. „Adam und Eva" oder, mit seinem schreiendenBuchtitel, „Halbtier" (1899) ist ein krankhaft überhitztes Produktvon Sinnlichkeit und Doktrinarismus, das nicht bloß in der raffi-niert-symbolischen Scene, wo Isolde sich dem Bildhauer uackt zeigt,an zwei böse Vorgänger erinnert: an Schlegels „Lucinde " undGutzkows „Wally". Die schreckliche Absichtlichkeit vor allem, die un-küustlerische Überdeutlichkeit läßt hier wie schon in den „SchlimmenFlitterwocheu" (1893) die Poesie kaum aufkommen, die der Dichterinder „Ratsmädelgeschichten" nnd auch noch des „Rangierbahnhofes"zur Verfügung stand. Wütend, maßlos wird das Geschick der Frauals des unglücklichsten Wesens auf der Welt mit Farben aufgetragen,die mehr an Emil Marriot und Gabriele Reuter als an die feineAbtönung früherer Bücher der Heleue Böhlau erinnern. Manmöchte fast citieren, was sie in den „Verspielten Leuten" von demWutausbruch einer armen Näherin sagt: „Es ist der Niederschlageines gedrückten, beraubten, friedlosen, armseligen Lebens — sogiftig und scharf und beißend". Nichts mehr von dem wenn michgrimmigen Humor, der in den „Verspielten Leuten" mit den idio-tisch-gemütlichen Symptomen patriachalischer Gehirnerweichung spielte;nur Wut, prosaische, verzerrende Wut. Alle Mänuer Schufte oderSchwächlinge; alle Frauen gemordete Engelsseelen; nur ein kümmer-lich vergoldetes Eheglück als unwahrscheinliches Paradies in dieseHölle hineingezeichnet. Noch versagt der Dichterin nicht ganz dieKraft der Charakterzeichnung: der Vater Frey, ein gröberer Hjalmar,ist ganz prachtvoll geraten, anch die von dem Alltagselend zer-quetschte Mutter; aber die beiden Schwestern und der Bildhauer,die unaufhörlich klug redende Mrs. Wendland uud der Korpskmrsche