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1880-1890,
— was sind das für blasse Allegorien neben den lebendigen Ge-stalten der älteren Werke! Nur in einem Punkte hat die Künstlerin,die sonst in allem sank, Fortschritte gemacht: in der Pracht derRede. Die schlichte einfache Sprache der ersten Periode, die nervös-geistreiche der zweiten hat sich jetzt zu einer großartig stilisiertenKunstprosa voll prächtiger Einzelheiten entwickelt.
Wie cinc große, schwere Schildkrötenschale lag die Verachtung des WeiveSauf ihr. ... Er hatte sein Heim in Berlin wie in München und genoß denUmschwung der Vermvgeusverhältnisse seiner Frau auf das energischste. . . .Die Rednerin faßte diese Dinge bei einem kleinen Zipfel und zeigte ihn wieein winzigeS Prvbchen von einem ganz wunderbaren, riesigen Stoff, in denungeheure Gestalten, geheimnisvolle, mächtige Muster eingewirkt sind. . . .Pauline in ihrem breiten Weibbehagen ging wie eine Walze über alles hin,was nicht aufs engste mit diesem Behagen zusammenhing.
Das sind geistreiche Vergleiche, individuelle Ausdrücke, schön ge-baute Sätze. Auch ergreifende Stellen fehlen nicht, wie die Haltung derMntter beim Tode des Vaters, dessen gelbe Totenhand noch ein Spiel-zeug umklammert, „so leidenschaftlich, wie der Mensch die lächerlichenDinge des Lebens umklammert hält": anch nicht hohe Gedanken, wieam Schluß der Nietzsche entlehnte von der Wiederkunft. Aber kanndas alles entschädigen für die Leere dieser abstrakten Figuren, fürdie Willkür dieses romanhaften Ausgangs mit Hilfe des so kindlichungeschickt herbeigeschafften Revolvers, für die verletzende Absichtlich-keit der ganzen Fabel?
Helene Böhlau ist typisch für den altnenen, besonders durchSchriftstellerinnen gepflegten Roman ihrer Zeit nicht nur durch dieTendenz, den romantisch-realistischen Stil, die Anlehnnng an neuerePhilosophie — sondern anch durch das stark lokale Element. Wiein den Weimarischen Geschichten der klassische Boden von Jlm-Athen,so spielt im „Rangierbahnhof" und selbst noch im „Halbtier" dasMünchener Klima eine Rolle mit seiner unersetzbaren Luft, seinerMischung von Großstadt und Dorf, seiner Tradition und seinerModernität. Dieser lokale Zug des neueren Romans hängt natür-lich eng mit der realistischen Richtung zusammen, mit dein Indivi-dualisieren, Porträtieren, auch mit der allmählich immer stärker aufdie Produktion wirkenden Knnstlehre Taines, wonach der Menschein Kind seiner Umgebung sei. Das Wort „Milieu" sängt anstark gemißbraucht zu werden; entbehrlich ist es doch nicht, so wenigwie etwa „Klima". „Milieu" ist für den Einzelnen, was das „Klima"im Sinn Herders für die Nation ist, viel mehr als bloß „Umgebung";