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es gehört dazu fast so viel wie im Lutherschen Katechismus zum„täglichen Brot". Die reiu lokale Umgebung, die Personen, mitdenen man zu thun hat, Hausrat und Aussicht aus dem Fensterthun es nicht allein; die ganze Atmosphäre, die sich darüber gelegthat, gehört mit zum „Milieu": die festen Gedankenbahnen, die sichin diesen Gehirnen gebildet haben, die Vorstellungen, die in derLuft liegen, die festen Schablonen für das Gespräch und was nichtalles. Für diese Einflüsse Pflegen nun aber gerade die Frauen umso mehr empfänglich zu sein, je mehr ihre tägliche Beschäftigung sieauf allerlei kleine Züge achten lehrt. Sie wissen es wohl, daß derVater in der steifen guten Stube, im Frack und mit weißer Kra-watte, eine andere Miene aufsetzte als im Schlafrock auf dem altenKanapee der Arbeitsstube — ja daß er dort ein anderer Mann war.Sie kennen aus täglicher Erfahrung jene Summe von selbstver-ständlichen Voraussetzungen, die die Wienerin oder Hambnrgerin,der Groß- oder Kleinstädter bestimmten Fragen der Etikette, derKleidung, der Lebenshaltung entgegenbringen. Kein Wunder, wennsie feiue Beobachterinnen lokaler Eigenart werden! HermineVillinger (geb. 1849 in Karlsruhe ) versteht schwäbische Charaktereund Sitten anmutig, schlicht, mit einem gewissen nie irrenden weib-lichen Instinkt in der Psychologie darzustellen („Aus dem Klein-leben" 1885 „Aus meiner Heimat" 1887 „Schwarzwaldgeschichten"1892) nnd erhebt sich allmählich aus einer gewissen VantierschenBauerneleganz zu realistischer Kraft („Unter Bauern" 1894). IlseFrapan (geb. 1852 in Hamburg ) hat sich ebenfalls in schwäbischenErzähluugeu versucht („Enge Welt" 1890) und zwar mit einergroßen herben Kraft der fest nnd bestimmt andeutenden Rede (zu-mal in der meisterhaften Novelle „Aus der rauhen Alb"); nochhöher stellen wir aber ihre Heimatsnovellen („Zwischen Elbe undAlster" 1890), in denen man wirklich die Luft der HamburgischenFleete einzuatmen glaubt. Ebenso anschaulich hat sie in ihren„Vischer-Erinnerungen" (1889) den großen Ästhetiker in seiner Um-gebung hingestellt, der ihr ein freundlicher Mentor war — und ausdessen Äußerungen ihr treues Gedächtnis beinahe zu viel bewahrtoder mindestens etwas zu viel der Mitwelt anvertraut hat. Überihre Gedichte (1891) können wir dagegen nur urteilen wie OttoPniower : zu viel von dem ausgesungenen Ton der Romantik, ins-besondere der Heineschen; zu oft störende Einzelheiten: „eine leereStelle, eine nicht treffende Beziehung, eine tote Formel, ein miß-Meyer, Litteratur. 5V