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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18801890,

ratener Schluß"; viel weniger Eigenart, als die Novellen erwartenlassen mit einem Wort: Dilettantismus, wenn auch nicht inder äußern Form, so doch in der innern. Charlotte Niese (geb. 18S4) hat mit prächtig behaglicher Breite köstliche Zustands- undCharakterbilder aus dem alten Schleswig-Holstein gezeichnet (Ausdänischer Zeit" 1892, 1894); die Schilderung des alten Kachelofensmit Bildern aus dem Alten Testament (inMamsell van Ehren",der Krone ihrer Erzählungen) ist eine Perle in Stimmung aufge-löster Beschreibungskunst, und die gehaltenen humoristischen Stücke(wieDiebesrache") sind der Heimat Fritz Reuters und John Brink-mans, des großen niederdeutschen Gesamtgebiets würdig. Als siedann von der ihr natürlichen Form der Einzelerzählung zum Romanaufzusteigen suchte (Licht und Schatten" 1895), löste sich doch anchdieser in eine Reihe zum Teil allerdings meisterhafter Zustands-bilder auf; die Schilderung der Cholerazeit in ihrem schlichtenRealismus bildet zu dem phantastischen Gemälde der Ricarda Huch kein geringes Gegenbild. Aber die Entwickelung im ganzen gerietzu schematisch, und die Tendenz ist auch hier in der kohlschwarzenZeichnung des socialdemokratischen Arbeiters zu aufdringlich uudabsichtlich. Mit neueren Elementen verjüngte dann das kräftigeTalent Clara Viebigs (geb. 1860) die Tradition des Lokalromans.

Es lag doch ein gesunder Instinkt darin, daß diese Frauensich heimatlichen Gebieten'zuwandte». Die Männer, die das Lokal-kolorit in fremde,malerische" Länder trugen, brachten immer aucheine Portion altmodischer Romanhaftigkeit mit; so Konrad 'Tel-mann (Konrad Zitelmann aus Stettin , 18541897), ein sehrfruchtbarer Erzähler, der in 24 Jahren nicht weniger als 69 Werkein 93 Bänden veröffentlichte, Novellen und Romane, auch Gedichte.Die Novellen spielen gern in Tirol, der Schweiz, Italien und zeigeneine leichte anmutige Erzählergabe, freilich aber mehr Geschicklichkeitim Knüpfen als im Lösen des Knotens. Die ganze Haltung undder Stil bleibt wesentlich der des alten exotischen Romans etwaaus Rehfues' Zeit; die Technik ist von dem Muster der NovelleuHeyses abhängig. Die zuletzt stärker betonte antiklerikale Tendenz,die dem durch seine Kränklichkeit in katholische Länder Verbanntennorddeutschen Protestanten Anfeindungen zuzog (Unter den Dolo-miten" 1893), erinnert ebenfalls an die Tradition, die von Rehfuesbis auf Heyse reicht. Auch sein etwas älterer Landsmann HansHoffmann (geb. 1848 in Stettin ) hat sich von der Art der