768 1880—18S0.
wümende schlichte Wahrhaftigkeit begegnet uns hier, neue Töneaber kaum je in den Liebes-, Landschafts-, Lehrgedichten. Abereinige satirische Verse aus der Schulpraxis mit ihrer kräftigen Er-fassung der Wirklichkeit fallen aus der Münchener Tradition her-aus; und mehr noch der moderne Individualismus eines Schluß-bekenntnisses zu „frischen Seelen und eigenen Geistern, die strammihre freien Wege schreiten: sagen wir kurz, Persönlichkeiten". Hiersuhlen wir doch, daß auch in diesem Manne der romantischenErfindung das neue Ideal blüht: die Hoffnung auf eine neuedeutsche Kultur, in der germanische Kraft und romanische FeinheitPersönlichkeiten von neuem Rang erschaffen werden.
Dieser alte Traum von der Vereinigung germanischen undromanischen Wesens berührt wie ein leiser schmeichelnder Hauchwohl auch die Stirn der größten Künstlerin dieser Periode auf litte-rarischem Gebiete, wenn sie in der eingewohnten neuen HeimatFlorenz an das schwäbische Geburtsland denkt. In der Familievon Isolde Kurz (geb. l8S3 in Stuttgart ) ist die Begabung fürdie Kunst erblich: ihr Vater war Hermann Kurz , der Versasserdes „Sonnenwirts", ihr Bruder ist Bildhauer. Der Dichterinerwuchs unschätzbares Gut aus ihrer Abstammung. War ja dochin der schwäbischen Dichterschule, zumal in ihren jüngeren Spröß-lingen, annähernd schon einmal das Ziel erreicht worden, wohinjetzt der Kompaß wies: die Vereinigung von Realismus und Ro-mantik, nicht, wie bei E. Th. A. Hoffmann, in gesuchter Ver-bindung, sondern, wie bei Mörike , in naiver Verschmelzung. Hierherweisen auch die „Phantasien und Märchen" (1890) der Dichterin.Jene geheimnisvolle Gabe mythologischer Anschauung, die beiMörike die Fee Briscarlatana mit ihren Äpfeln hervorbrachte, schufauch das „Sternenmärchen", in dem ein Abenteurer von Kometder jungen blühenden Erde — einem Geschöpf voll Feuer undJugend mit tiefen meeresgrünen Augen und weicher Haut, ausder das feine Geäder herausschimmerte — und sogar den kleinenBackfischen Ceres und Vesta den Hof macht. Neben solchennaiven Beweisen der altschwäbischen Naturbeseelung finden sichaber hier auch ganz originelle Verkörperungen wie die des pytha-goräischen Lehrsatzes — „ein unförmliches, viereckiges Wesen, dasmit zwei Armen wie mit Windmühlen um sich focht" — oderder Meilenzeiger, der aus dem Chaos iu die reine Abstraktionweist; finden sich tiefsinnige Konzeptionen wie die von der Gleich-