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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18801890,

in die Erregtheit eines Mannes, der ein betäubendes Opiat raucht;sie dichtet sich in der wirkungsvollsten dieser Erzählung (EinRätsel" in denItalienischen Erzählungen") in die kranke Seeleeines Wahnsinnigen, der sein Ich verloren hat und sich nun jenseitsvon allem Menschlichen fühlt; mag sein, daß satirische Absichtenmitspielen. Doch ist gerade dies Thema den schwäbischen Traum-seelen vertraut; schon Uhlands Freund Conz behandelte es in einerErzählungDer Zweifler an seiner Persönlichkeit". Ebenso führtsie die moralische Zerrüttung vor. So schon in denFloren-tiner Novellen" (1890): die Erschütterung aller sittlichen Vor-stellung durch die zur Monomanie der Zeit gewordene Über-schätzung der humanistischen Ideale (Die Humanisten"). DieZerstörung aller bisherigen Anschauungen durch die furchtbareAufregung des Pestjahres wird zur Grundlage genommen, undnun analysiert die Erzählung, wie unter solchen Umständen sich dieEindrücke bestimmter Geschehnisse gestalten. Doch ist in diesemBuch das Ereignis selbst noch Hauptsache, und sein Vortrag inwundervoller, in Marmor meißelnder Sprache macht die Sammlungzu einem der am höchsten stehenden Werke aus der alten Schuleder historischen Novelle.Die Vermählung der Toten" wäre einesC. F. Meyer nicht unwürdig. Aber erst in denItalienischenErzählungen" (1895) hat die langsam und mit tiefstem Ernstproducierende Dichterin jene Stufe des moderueu, psychologisch ana-lysierenden Realismus erreicht. Nun freut sie sich, jenseits vonGut und Böse, der bunten Fülle von Eindrücken, die jedes Dingauslöst und die um die unendliche Mengewirklicher Gegenstände"noch zahllos neue Welten von Vorstellungen herumbildet. Wieauf ein ganz einfaches Herzaus dem Volke" bestimmte Erfahrungenwirken (Pensa",Die Glücksnummern") oder auf eine feingebildeteDilettantennatur eine zur fixen Idee werdende Liebe (ErreichtesZiel"), das lockt sie jetzt mit unnachahmlicher Einfachheit wieder-zugeben. Die Fabel selbst ist Nebensache, sie wird (inPensa")ziemlich konventionell behandelt. Ja, wo die Dichterin sich einmalvon der auch ihr stark eignenden didaktischen Neigung verleiten läßt,da gerät wohl die Erzählung fast so schematisch-steif, wie die mitder pedantisch Stiche zählenden Genauigkeit einer weiblichen Hand-arbeit symmetrisch vorrückenden Frauenromane vom Typus derGuteu Familie" (Schuster und Schneider").

Es ist nur ein Zustand und keine Geschichte." Wer so spricht,