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1880—1890.
Form der Lyrik hat Isolde Kurz wie wenige befreien helfen; inder äußern ist sie dem klassischen Stil der schwäbischen RomantikerUhland, Mörike , Waiblinger treu geblieben.
Die Lyrik ward aber sonst der Boden, auf dem zuerst derueue Geist auch neue Formen zu schaffen suchte. Oft ungestüm,in unklarem Drang, oft doktrinär, mit ausgetiftelter Berechnung;selten aus innerer Notwendigkeit heraus zu wirklicher Ver-jüngung hin.
In jenem Kreise, der die Brüder Hart umgab, trafen wir vorallem Lyriker: neben den Brüdern selbst Henckell, Holz, Hartleben.Der letzte bildete sich zum Erzähler, Holz zum Dramatiker aus;zunächst empfanden sie sich doch als Lyriker und ließen eine Aus-wahl ihrer lyrischen Dichtungen unter dem Titel „ModerneDichtercharaktere" (1885) erscheinen. Die von der Kritik derBrüder Hart stark abhängige Einleitung von Karl Henckell be-tont, die juuge Generation des erneuten, geeinten, großen Vater-landes strebe dahin, die Poesie wieder zu einem Heiligtum zumacheu; das „Credo" von Hermann Conradi verspricht eine neueLyrik, will eine Zeit der „großen Seelen und tiefen Gefühle" be-gründet sehen; ein Motto lautet: „Wir rufeu dem kommendenJahrhundert". Mit all diesen pausbäckigen Ankündigungen wirdnicht ohne weiteres klar, was der Kreis will. Nrno Holz, dereigentliche Theoretiker der Gruppe, ruft breitspurig, wie es seiueArt ist:
Kein rückwärts schauender Prophet,Geblendet durch unfaßliche Idole —Modern sei der Poet,Modern vom Scheitel bis zur Sohle.
Es bleibt doch immer auszumachen, was unter dieser bis zumÜberdruß betonten Modernität schließlich zu verstehen sei. DerDichter, denkt man, soll alle Strömungen der lebendigen Gegenwartin sich aufnehmen uud verarbeiten. In der That sieht man nenereTendenzen stark betont, insbesondere politisch-sociale» Aber andereGedichte suchen nur durch die Stoffwahl, oder in der Form-gebung durch Bevorzugung der freien Rhythmen Neuheit zu er-zielen. Zumeist bleibt es bei der Absicht. Und das schlimmsteist, daß dieser Ton posaunenblasender Gerichtsverkündung bei sehrschwacher Dichterlunge diesen „Modernen " vielfach eigen blieb,auch als sie uicht mehr das Privilegium der Jugend hatten; am