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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Moderne Dichtercharaktere".

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ärgsten ihrem nominellen Führer, dem ganzunmöglichen" Viel-schreiber Wilhelm Arent (geb. 1864). Fast dem ganzen KreisderFriedrichshagener" und ihrem Nachwuchs in derGesellschaft"sehlte die Hauptsache: die Entwickelungsfähigkeit.

Einige strebten die Modernität auch fernerhin ganz äußerlich inradikaler politischer Teudenz an; so Maurice Reinhold v. Stern(geb. 1860) aus Reval, und John Henry Mackay (geb. 1864) ausGreenock in Schottland , der schwunglos Leitartikel versisiciert undauch in einem gestaltenlosen Diskutier-RomanDie Anarchisten"(1891) seine künstlerische Schwäche dargethan hat. Höher stehtschon der bedeutend ältere Leopold Jacoby (18401895) ausLauenburg , dessen freie Rhythmen und StrophenEs werde Licht"(1870) als erste Nummer auf dem Katalog der auf Grund desSocialistengesetzes verbotenen Bücher standen (23. Oktober 1878);besonders freilich in feiner unpolitischen Poesie (Annita" 1884).Der bedeutendste dieser Gruppe ist aber Karl Henckell (geb. 1864)aus Hannover . Er ist ein Idealist der alten Schule, der Tonund Inhalt der alten Revolutionslyrik nicht ohne Kraft erneuert(Amselrufe" 1888,Trutznachtigall" 1891), aber unter der Hülledes lärmenden Agitators ein feinsinniges, für Goethe begeistertesDichterherz birgt und in zarten Klängen leichter Verschen zuweilenan Herwegh erinnert ein lauter Rhetor und ein verstohlenerLyriker. Deshalb gelang ihm auch wie fast nur noch Hart-leben ein Emporsteigen zu reinerer Kunst. Nun wagt er (Gedichte1898) ganz einfache, leise Weisen anzustimmen, die fast MörikesNamen auf die Lippen rufeu:

Immer, wenn die Tage kommen,Wo die Rosen sind erglommen,Wo die roten Rosen blühn . .

Weht ein Hauch von GlückvegehrenMit den schweren, düfteschwerenLüften auS dein Gartengrün.

Unmöglich Wäre es nicht, daß der Treibhaushitze des jüngst-deutschen Dichtertreibens eine Mitschuld an der schwachen Ent-wickelung manches Talents zugehört. Solche Gruppen pflegen, wiereligiöse Sekten, das zu stark zu betonen, was sie von der Kirchescheidet, das viel zu wenig, was sie mit der großen unsichtbarenGemeinschaft der Heiligen verbindet. Tendenz im politischen wieim ästhetischen Sinne gilt dort mehr als Kunstvollendung. Deshalb