Der neue Roman. 797

ankomme, und der dürre Falstaff der Partei, Conrad Alberti , ver-gröberte die Parole zu dem bekannten schreckbaren Ruf, als dichte-rischer Stoff stehe der Tod des größten Helden nicht höher als dieGeburtswehen einer Kuh. Selbst abgesehen von der herausfordern-den Geschmacklosigkeit des Vergleiches ist das psychologisch unwahr,denn ein „Held" ist eben eine interessante Persönlichkeit, d. h. erbietet einen Stoff, der den Autor und das Publikum zu künstle-rischer Behandlung und künstlerischem Genuß von vornherein stärkerreizt als ein beliebiges Exemplar einer allgemein bekannten Tier-gattung. Sieht man aber von solchen Übertreibungen ab, so ent-hält die Lehre, daß es in der Kunst auf das Was gar nicht ankomme,rein theoretisch eine relative Wahrheit; Praktisch gar keine. Dennjeder Künstler, jede Kunst wird solche Stoffe aufsuchen, in denen diespecielle Begabung und Tendenz sich am günstigsten bewähren kann.

Stofflicher Realismus tritt daher zuerst nachdrücklich auf. InVerbindung mit socialen Auffassungen bildet er das einzige Ver-dienst in den Romanen von Max Kretzer (geb. 1854 in Posen),den eine übertreibende, im Äußerlichen befangene Kritik nicht nurals den „Gustav Freytag des socialen Romans", sondern gar alsden „Epiker der deutschen Moderne" bezeichnet hat. Wie GerhartHauptmann der Sohn eines verarmten Hotelbesitzers — auch Suder-mann ist ähnlichen Verhältnissen entsprossen — hat er dreizehnjährigin Berliner Fabriken um einen Thaler Wochenlohn gearbeitet und da-neben mit mächtigem Bildungsdrang in den Nächten gelesen. ..Sollund Haben " und die „Rougeon-Macquart" reizten ihn zur Nachfolge.Zunächst war sein Realismus noch recht stark von der bürgerlich-romantischen Manier Gustav Freytags beherrscht. „SonderbareSchwärmer" (1881) ist immer noch wesentlich ein Roman im Stildes Jungen Deutschland . Bismarck, durchsichtig genug als Ver-treter des bösen Prinzips gezeichnet, und der bekannte Bastard aushochadeliger Familie ringen nm ein Mädchen; abenteuerliche Be-gegnungen, Verführungsversuche, gesucht humoristische Nebenpersonenuud Scenen erinnern an „Die verlorene Handschrift" noch mehr als an„Soll und Haben ". Wenn neben die Litteratenwirtschaft — mit reich-lichen Porträts aus der Berliner Schriftstellerwelt — das Gründer-tum großen Stils tritt, so war diese „Modernität" auch nichtsNenes mehr und etwa in Spielhagens „Sturmflut" (1876) längstverwertet; wie denn in dem mit sichtlicher Sympathie gezeichnetenBilde des berühmten, ja herrschenden Romanschriftstellers „Spiel -