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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1880-1890.

schritten habe. Dieser unbeirrbare Ernst, der ruhig weiterschreitet,dieser unbestechliche Wahrheitssinu siud uus Bürgeu. Wer dieWeber" schuf mit ihrer großartigen Wahrhaftigkeit und die FigurHanneles mit ihrer tiefen Poesiehalb Kinderspiele, halb Gottim Herzen", der hat sich noch nicht ausgegeben. Schranken hatseine Begabnng, das wissen wir. Eine wunderbare Treue derWiedergabe, eine seltene Kunst des seelischen Durchdringens ist ihmgegeben; aber unsere verwöhnte und nun einmal nicht mehr naiveZeit vermißt das, was wirGeist" zu nennen Pflegen. Die witzigenSpiele des Zufalls und der Verblendung vermag der Autor desBiberpelzes" aufzufangen und nachzubildeu, den Humor eines ge-nialen Trinkers zu erfassen versagt ist ihm ein Schalten im Reichder Ideen, ein Beherrschen auch der Abstraktionen, wie etwa Goethe,Gottfried Keller, Theodor Fontane es besaßen, ohne deshalb derRealität unrecht zu thun. Sndermann nnd die juugen öster-reichischen Dramatiker, Schnitzler vor allen, vereinigen jene Be-gabung mit der einer packenden Reproduktion der Wirklichkeit. Manmag es eine entbehrliche Begabung nennen; man mag sagen: nachder Überschätzung desEsprit" im Drama (und im Roman) seitder jungdeutschen Zeit, ja seit den Romantikern denn derGeisteshochmut der Schlegel brachte zuerst den Kultus des geist-reichen Wortes bei uns in Schwnng sei sein völliges Zurück-treten eine gesunde Reaktion. Dennoch darf man sich nicht ver-bergen, daß das Fehlen dieser Anlage auch sür die vorhandenenTalente Hauptmanns Gefahren in sich schließt. Mit dem Herzendurchdringt er, was er in so großer Anschaulichkeit vor sich sieht;dem Geist bleibt es ein Chaos. Ihm fehlt der Blitz, der das Dunkelder Dinge durchhellt. Er stellt sie wieder her, wie sie waren; aberer läßt sie unverändert. Das liegt an ihm, nicht an den Prinzi-pien des Realismus. Eine Neigung, die Nebel aufzuhellen, zeigter selbst zuweilen; so könnte man in jenem Wort derWeber",einen Augenblick freien Aufatmens müsse der Mensch doch im Lebenhaben, gleichsam das Motto der Dichtung sehen. Aber es bleibtvereinzelt und dringt nicht tief genug.

In der bildenden Knnst sind Meister nicht ganz selten, dieeine große Kraft der realistischen oder stilisierenden Wieder-gabe besitzen, ohne eigentlich Geist zu haben; in der Poesie sind sienaturgemäß seltener. Christian Rauch würde ich hierher rechnen,und vielleicht selbst Vertel Thvrwaldsen. An ihrer Bedeutung