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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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879
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Richard Dehmel . Rückblick.

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Schauen bringen, herhalten: ein mühsamer absichtsvoller Symbo-lismus. Da der Autor die thatsächlich erregenden Momente nichtin Poesie aufzulösen versteht, so hängt er ihnen ein Glockenwerkgeheimnisvoller Beziehungen und dunkler Ahnungen an, das ihrenüchterne Thatsächlichkeit übertäuben soll.

Eine Mischung der Kunststile, wie wir sie im letzten Jahr-zehnte in der Blüte treffen werden, bereitet sich schon vor beiFerdinand Avenarius (geb. 1856), dessen Gedichte (Wandernund Werden" 1881,Lebe!" 1893,Stimmen und Bilder" 1897)wie ein Echo seiner (übrigens vortrefflichen) Anthologie (DeutscheLyrik der Gegenwart seit 18S0", 2. Aufl. 1884) erscheinen und derin seiner letzten Sammlung mit ihrer Ausstattung, mit den halb-symbolischen Bildern, dem gelblichen Papier und den altertümlichenTypen schon äußerlich andeutet, wie er auch inhaltlich die neuenModen mitmacht, ohne die alte Bildungspoesie aufzugeben.

Den Kultus des Neuen, den wir als ein Kennzeichen diesernervösen Periode herausgehoben haben, sehen wir auch hier mächtigund für die Schwächeren gefährlich; aber wir sehen auch hier, wiebeim Drama, als seine Wirkung originelle Kunstwerke entstehen. Fastdurchgängig gilt freilich für diese Zeit die Regel, daß die Autoreninteressanter sind als ihre Werke, und auch wohl bedeutender.Julius Hart und Heinrich v. Stein, Bölsche und Dehmel , Hart-leben und Harden, Sudermann und Arno Holz sind Figuren, fürdie man recht gern ein paar leidlich gelungene Produkte unin-teressanter Dichter früherer Zeiten hingiebt. Die Nervosität einesHermann Bahr und die ruhige ernste Entwickelung eines GerhartHauptmann sind gleich typisch und gleich sehr Beweise für denleidenschaftlichen Ernst, mit dem diese Zeit suchte und strebte. Wohlmöchte man dieser Zeit und dem Geist der alten Kunst znrufen,was Freiligrath vor einem halben Jahrhundert schon der Romantikzusang:

Dein Reich ist aus! Ja, ich verhehl' es nicht:Ein andrer Geist regiert die Welt als deiner.Wir fnhlcn's alle, wie er Bahn sich bricht;Er pulst im Leben, lodert iin Gedicht,Er strebt, er ringt so strebte vor ihm keiner!

Mit einem Schlagwort läßt dieser neue Geist sich nicht ab-thun, der Nietzsches Philosophie, Hauptmauns Drama, den Romander Helene Böhlau und der Ricarda Huch , die Lyrik Detlevs