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1880—1890.
oder Strophenformen hinein. Ein individueller Stil ist nicht znverkennen; aber sein Recht besteht nur unter den krankhaften Voraus-setzungen dieser Cyklen von Hallucinationen.
Des gesuchten Konflikts von Formkünstelei und Formlosigkeitmüde, kehrte selbst für solche Fälle Julius Hart (geb. 1859:„Stimmen in der Nacht") zn der anspruchsloseren Form der be-wegten Prosa zurück. Denn Gedichte sind jene „Polymeter" undihresgleichen nun einmal nicht. Novalis ' Hymnen sind es, trotz-dem sie fortlaufend gedruckt sind, weil sie eine reine Zustands-schilderung bringen. Aber Holz, Schlaf, Ernst bleiben in derWiedergabe des erregenden Moments stecken. Jedes lyrische Ge-dicht zerfällt in zwei Teile: Andeutung des Moments, der dieStimmung erweckte, und Wiedergabe der Stimmung selbst. Dem ersten,unwichtigeren, Teil haben sie nun so viel Sorgfalt zugewandt, soviel fein analysierende Arbeit, daß sie zu der Hauptsache nicht mehrfähig sind: sie können dem so erregten Zustand nicht „Dauer ver-leihen". Er verslattert, wie ein beliebiger realer Eindruck, den ichhatte, als ich zum Fenster hineinsah und dort ein nähendes Mädchensaß. Diese „Gedichte" sind nur lyrische Einleitungen, Expositions-scenen, denen kein Drama folgt — fast möchte ich sagen Rahmenum weiße Leinwand. Auch der Rahmen kann fein gearbeitet sein,gewiß; aber ihn anzufertigen, bleibt Kunstgewerbe.
Richard Dehmel (geb. 1863: „Erlösungen" 1891, „Aber dieLiebe" 1893, „Weib und Welt" 1896, „Lebensblätter" 1898) ver-suchte dieser realistisch analysierenden Richtung das specifische Ge-wicht wiederzugeben, das ihr abhanden gekommen war. Leiderbesaß diese grüblerische, immer mit sich selbst beschäftigte Naturein viel zu geringes Talent zu poetischem Erlebnis. Die erregendenMomente, die jene anderen selbstzufrieden hinschrieben, um dannzu Neuem überzugehen, beschäftigten ihn intensiver; aber fast immerlösten sie nicht Stimmungen aus, sondern Reflexionen. Es gelingtihm wohl einmal ein echt lyrisches Gedicht („Aus banger Brust"),aber in der Regel tastet er sich mühsam an der Krücke der Re-flexion weiter. Da er selbst sühlt, wie unpoetisch diese Stückewirken, hilft er sich mit gewissen äußerlichen Mitteln gewaltsamerPoctisierung: er treibt die typographische Künstelei auf deu Gipfel,er bringt allerlei verzwickte Reimkünste an, er wirft lautsymbolischeSilben in die Masse: „Zg-Aloni Alsis, Alüklg.lg.". Vor allein abermuß das alte Hauptmittel aller Dichter, die es nicht zum poetischen