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1890-1899.
Naturalist ist Hirschfeld mit zwingender Einseitigkeit derAnlage. Alles zieht ihn zur „Reproduktion der Natur", zur Zu-standsmalerei, zur Nachahmung bestimmter lebender Modelle vor-zugsweise aus seinem näheren Umkreis. Als er unter den Ein-fluß Hauptmauns geriet, entstand zunächst (1892—1893) „einAkt": „Zu Hause" (erschienen 1896); eine starke Talentprobe. —Die außerordentliche Naturtreue dieses naturalistischen Gemäldeserscheint noch gesteigert in Hirschfelds Hauptwerk, dem Schauspiel„Die Mütter" (1896). Solche typisierenden Titel liebt die neueSchule: Striudberg schrieb den „Vater", Bahr die „Mutter ",Kretzer den „Sohn der Mutter", gerade wie einst Gutzkow seinem„Richard Savage" diesen Nebentitel gegeben hatte. — Das Ringenzweier Mütter nm eine Seele ist der Gegenstand der Handlung: dieMutter des jungen Künstlers kämpft — mit der Mutter seinesKindes. Düstere Familienverhültnisse haben den Sohn ans demHaus getrieben; man denkt an Hauptmanns „Friedensfest", aberbei Hirschfeld zieht sich dies Thema wie eine persönliche Erfahrungfast durch seine ganze Produktion. Nun ist der Vater, der Tyranngestorben; man kann hoffen, den verlorenen Sohn wiederzugewinnen.Er wird heimgeholt, nachdem er selbst die Annäherung angebahnthat; seine treue liebende Frenndin in Not uud Elend will ihnwiedererobern, erobern für ihr Kind. Aber stärker noch als dieLiebe zn dem Ungeborenen ist die zu dem Geliebten: sie opfert sich,indem sie ihn Verhältnissen überläßt, die seiner Seele, seinem Talent,seiner Gesundheit förderlicher scheiueu. — Das bekannte Schema derrealistischen Dramen ist hier ganz originell angefaßt: der Kampfder Mütter statt des Kampfes der Frauen. Liebevoll ist das Milieuhier wie dort gemalt, vor allem freilich das der armen Leute: ganzin Hauptmanns Art wird die Regiebemerkung zu einem stimmungs-vollen Stillleben erweitert und die Freude des Autors an charak-teristischen Typen — die später in der „Pauline" (1898), einemverfehlten Gegenstück zn Hanptmanns „Biberpelz", den Nahmen derHandlung zersprengt — führt hier zu ganz wundervoll gelungenenFiguren. Die Messerputzsceue mit Gretens Wutausbruch ist eiuMeisterstück. Vor allem aber ist Marie, die ungebildete Geliebte,ein Triumph realistischer Psychologie. Nirgends hat der Verfasser,der doch von Sentimentalität keineswegs frei ist, sich durch seineSympathie für dies Mädchen aus dem Volk verführen lassen, ihreRede — oder ihre Gedanken zu idealisieren. Wenn sie von ihrem