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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1890-18S9.

in der mit einer ganz ungewöhnlichen Kraft in Sprache und An-schauungen das Lokalkolorit ihres heimischen Bezirkes getroffenwird. Auch ihre Dramen (Barbara Holzer" 1897,Die Phari-säer" 1899) zeigen bei etwas willkürlicher Führung der Handlungeine seltene Kraft der Charakterzeichnung, eine ungewöhnliche Echt-heit der Sprache und des Lokaltones. Für dies eifrig produzierendeernste Talent scheint aber der Boden der Großstadt, den sie dannbetrat, gefährlich. Unter dem Einflüsse der Gabriele Reuter ergabsie sich dem tendenziösen Problemroman (Rheinlandstöchter" 1897)und nahm in einer zweiten Erzählung voll abgebrauchter Roman-scenen (Begegnung im Eisenbahncoups, Familienrat u. s. w.) mitstilistischen Eigentümlichkeiten der Helene Böhlau (die Atmosphäresatten Wohlbehagens und absoluter Wohlanständigkeit") leider auchjene gehässige Art an, mit der Schriftstellerinnen die Vertreter desihnen unsympathischen Prinzipes kunstwidrig zu mißhandeln pflegen:Amalia oder Susanua (Dilettanten des Lebens" 1899) könnensich nicht zeigen, ohne einen Rippenstoß zu erhalten. Auch drohtsie in die altromantische Neigung der Poetisierung der Poesie zuverfallen. Die gefährliche Tendenz, den Kainsstempel der Dich-tung auf Stirnen glänzen zu lassen, die durch ihr eigenes Auftretensich nicht als auserwühlt bekunden (Vor Tau und Tag" 1898"),die eifervolle, ja gehässige Schilderung der Philisterkreisc, unterdenen die Schriftstellerin ihr Leben als Martyrium fühlen müsse(Es lebe die Kunst" 1899) das sind romantische Stilisierungen,die gerade bei dieser kräftigen Beobachterin doppelt verletzen. Wieprachtvoll wußte sie iu der ersten Sammlung die bäurische Dalilazu schildern oder die Atmosphäre der Wallfahrten zum heiligenRock nach Trier ! Und nun ein karikierender Porträtroman ausder Berliner Gesellschaft mit einem nicht eben diskreten Selbst-porträt im Vordergrund . . . Möge sie sich damit denn wenigstensden Zorn von der Seele geschrieben haben und wieder den Wegfinde» zu der Wirklichkeitspoesie ihrer ersten Werke!

Wenn Ricarda Huch und Anselm Heine durch Stil und Technikmodern sind, so suchen andere Schriftstellerinnen durch die Wahlmoderner Stoffe und Probleme der Romanschriftstellerei neues Lebeneinzuflößen. Klaus Rittland (Frau Heinroth , geb. 1864 inDessau ) frischte den internationalen Roman und die ReisenovelleRudolf Lindaus nicht ohne Geist auf (Ihr Sieg" 1896,UnterPalmen" 1896,Weltbummler" 1897), indem sie das völkerpsycho-