918 1890—1899.
liegt als schwüle Stimmung über ihren Romanen. Der Haß gegendie offizielle „Tugendhaftigkeit" verdichtet sich bei ihr zuletzt in der„Familie Barchwitz" (1399) — Bildern aus dem Familienleben imStil des „Simplicissimus" — und dem giftig-witzigen Epigramm-roman „Das Nixchen" (1899) zur bittersten Satire.
So finden wir beim Überblick der neuesteu Romanproduktionbestätigt, was wir von vornherein aussprachen: daß diese Kunst-form, gerade weil sie die „leichteste" scheint, einer eigentlichen Er-neuerung und Verjüngung den größten Widerstand entgegengesetzt.Talente von künstlerisch geringer Begabung, aber von Temperamentoder Geist oder einer andern Neben begabuug erfüllt, greifen immerwieder gerade zu der erzählenden Form und hängen sich wie einBleigewicht erschwerend denen, die fortschreiten wollen, an die Füße.Gerade so hinderte um 1848 das allgemein gewordene Dichten vonTendenzliedern die Entwickelung der Lyrik. Der neuere deutscheRoman bietet daher, im ganzen betrachtet, noch keineswegs einenmodernen Anblick dar. Die Novelle ist unter dem Einfluß derfranzösischen und englischen „sllort, stoi^" auf der einen, derlyrischen Erweichung aus der andern Seite charakteristisch umge-staltet; aber im Roman herrscht im wesentlichen auch heut nochder alte Typus der poetisierend-aufgeregten oder der gemütlich-pädagogischen Erzählung. Der bedeutsame Ansatz zu einem objektiv-analysierenden Roman, den wir bei Isolde Kurz zuerst fanden,nnd die „experimentelle" Technik der Helene Böhlau blieben nichtohne Nachfolge und wurden bei Walther Siegfried und RicardaHuch noch obendrein durch einen gewissen lyrischen Impressionismusumgestaltet, der in „Tino Moralt" zu einem lockeren Nebenein-andersetzen von Stimmungsbildern in der Art der Goncourt, in„Lndolf Ursleu" aber zu einem höchst kunstvollen Zusammengliedernabgerundeter Einzelcrzählungen führte. Aber daneben übt immernoch die alte Manier selbst auf die jüngsten und strebsamstenTalente einen verhängnisvollen Einfluß. Auch die alten ab-gestandenen Figuren und Effekte Paradieren immer wieder. Wollteman nach den jüngsten Romanen eine Statistik über die in Deutsch-land herrschenden Todesarten aufnehmen, man würde Wahnsinnund Selbstmord so unheimlich verbreitet finden, wie nach denrealistischen Dramen die Trunksucht und nach der Suggestionslyrikdie Fieberanfülle. In Wirklichkeit hat die Nervenüberreizung einerfrüheren Generation bei den Jüngeren unzweifelhaft einer gewissen