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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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I. Die Heere nach dem Befreiungskriege

der Armee blieb der gleiche. Nie ermattete ihre Ausdauer, und selbst Nie-derlagen erschütterten ihr inneres Gefüge nur wenig.

Dieser inneren Verfassung entsprach ihre Ausbildung. Ein jovial bar-scher Ton herrschte vor. Der Drill richtete sich auf strenge Zucht undfestes Zusammenschweißen der verschiedenen Nationalitäten. Der Schützen-dienst der Infanterie wurde noch als ein besonderer Zweig des Kampfesbetrachtet, nicht innig verschmolzen mit dem Kampfe der geschlossenen Ab-teilungen. Das Bataillon von 1000 oder 1200 Mann war für das Gefechtschon in Divisionen zu zwei Kompagnien zerlegt, aber die Gliederungwurde nur wenig angewendet.

In den höheren Kreisen zumal im Generalstabe lebte viel pe-dantische Gelehrsamkeit, ein Erbteil aus der Zeit der Lach, Mack, Wey-rother und Langenau . Für die Armee aber mangelte es an Bildungs-anstalten, und die Pflege der Kriegswissenschaften im Offizierkorps war nichtlebhaft genug, um für einen hohen Standpunkt der Ausbildung Gewähr zuleisten. In weiten Kreisen der Truppen herrschte eine gewisse affektierteVerachtung für die Theorie dergelehrten" Offiziere, als ob eine gesundeTheorie der tüchtigen Praxis Feind sei.

In der bayerischen, württembergischen, sächsischen Armee und den klein-staatlichen Truppen herrschten große Verschiedenheiten. Bewaffnung, Aus-rüstung, Reglements waren überall anders; die aktive Dienstzeit ausRücksicht auf die Geldnot möglichst gekürzt. In den kleineren Kontingentenmachten sich die persönlichen Interessen und Ansichten der Landesfürstenum so mehr geltend, als hier naturgemäß die Rücksicht auf einen Kriegmehr als bei den größeren Staaten zurücktrat. Obwohl einzelne in derAusbildung verhältnismäßig weit fortgeschritten waren, überwog doch imallgemeinen noch die geschlossene Fechtart. Die Kompagniekolonnentaktik,die in Preußen durch das Reglement von 1847 eine wertvolle Grundlageerhalten hatte, wurde freilich überall angenommen, aber meist nur formell,nicht ihrem Sinne nach aufgefaßt. Man ließ die Zerlegung des Bataillonsin seine Kompagnien zu, ohne ihnen aber die Verwendung je nach denUmständen und der Natur des Geländes zu gewähren. Der Schützenkampfspielte noch immer eine Nebenrolle.

In der hannöverschen Armee machte sich das englische Erbe stark fühlbar.