Schmerz, der um so tiefer ging, als er kein künstliches, sondernein natürliches System auszustellen dachte. Wir werden später aus daseigentümliche Verhältnis zwischen Haller nnd Linne noch zu sprechenkommen und einsehen lernen, daß die Zeitgenossen dem Syste-matiker Linne zu viel, dem reinen Naturforscher Haller zu weuigBeachtung schenkten. Haller verdanken wir auf medizinischem Ge-biete die große Entdeckung von der Irritabilität und Sensi-bilität. Als Grnndsnbstanz des Körpers betrachtete er das„Gluten", eine auS Öl und Wasser gebildete Gallerte. Währenddie niederen Tiere außer dem Gluten nichts enthalten, kommt beiden höheren Eisen, Luft und Erde dazu, woraus dann die „Fibrae"entstehen, feine Gebilde, die dnrch den Druck der Uiugebuug zuFasern, Platten, Kngeln umgebildet werden nnd schließlich ans nochkleineren Fibrae bestehen, welche, mit dem leiblichen Auge nichtsichtbar nur theoretisch konstruiert wurden. Er konnte zeigen, daßdie Muskeltt und zahlreiche andere Gewebe Kontraktionsfähigkeit(anch noch nach dem Tode) besitzen und nannte diese EigenschaftIrritabilität. Tauebeu fand er, daß die Nerven ein Em-pfindungsvermögen für äußere Reize besitzen (Sensibilität).
Damit war der wissenschaftlichen Forschung ein neuer Weggezeigt, und ungezählte Arbeiten entstanden, die teils für, teilsgegen Haller Partei nahmen, jedensalls aber der Ausgangspunktder verschiedenen Schulen waren, deren Ketten die Medizin erst inder Mitte des 19. Jahrhnuderts sprengen konnte. Es ist nichtselten in der Geschichte, daß ein einzelner Forscher mit genialem Blickbis nahe an die Wahrheit vordringt (so mnten manche Stellen inHallers Büchern an wie Sätze aus Virchows Cellnlarpathologie),daß aber die Mitwelt dem Gedankenfluge uicht folgen kann undAm den wahren Kern einen Wall von Theorien und Systemenbaut, den erst die Epigonen durchbrechen müssen, um nach mühe-voller Arbeit zu sehen, daß die Wissenschaft fchon Decennien vor-her das Nichtige geahnt, aber noch nicht formuliert hatte.
Seiue Versuche bezüglich der Sensibilität und Irritabilitätstellte Haller an der Haut resp, am Herzen an. Er kam zu demSchlüsse, daß sensibel sind: das Gehirn, die Nerven, die Muskeln,die Eingeweide in weiterem Sinne, der uropoetische und der Genital-
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