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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
Entstehung
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I. Vorläufer des 19, Jahrhunderts.

Um auf den Vitalismus zurückzukommen, so ist in erster LinieBorden zu nennen, der durch seine Untersuchungen über dieDrüsen uud durch seine Pnlslehre sich rasch viele Freuude,aber auch viele Gegner schuf, denen es schließlich gelang, denForscher vorübergeheud unschädlich zn machen. Die von ihm alsoberste Behörde des Organismus aufgestellteNatur" ist nichtsanderes als die Stahl'scheauimg.". Sein berühmtes Buch überdie Drüsen führt ans, daß deren Absonderung durch das Blutangeregt werde, und daß jeder Körperteil ein Leben für sich führt,das auch für sich allein gestört werden kann. Daraus entstehendann dieKachexieen". Höchst eigentümlich ist seine Lehre vomPuls, aus dessen Qualität er auf bevorstehende Krankheiten schließenzu können glaubt. So zeigt der dikrote Puls an, daß Nasenblutenauftritt, der aussetzeude deutet auf drohende Durchfälle, der un-gleiche auf Schweißausbrüche.

Viel bedeutender war Bordeus Schüler Barthez, den manden Vater des französischen Vitalismus nennen kann. Erhatte ein an Wechselfällen reiches Leben. Zuerst Arzt, wnrde erim 44. Lebensjahre Richter, um nach kurzer Zeit zu seinem altenBerufe zurückzukehren, dem er dann in hoher amtlicher Stellungbis an sein Lebensende treu blieb. Nach ihm unterscheidet sich dieorganische Natur von der anorganischen dadurch, daß erstere nebendem Körper eine Kraft besitzt, die sich durch Bewegung und Em-pfindung nach außen erkennbar macht. Beim Menschen ist diesehöhere Kraft eine doppelte: die Seele, welche die geistigen Thätig-keiten reguliert, und das?rinoip6 vital«, das die einzelnenOrgane in den Stand setzt, je nach ihrer Znsammensetzung ver-schiedene Funktionen zu verrichten. Daß er das ?ririeipö vitalals etwas vom Körper Abtrennbares, nicht mit ihm fest Verbun-denes auffaßt, geht daraus hervor, daß er die Entstehung vonKrankheiten dadurch zu erklären sucht, daß ebeu dieses PrinzipVeränderungen erleide» kann, die ohne gleichzeitige Schädigungdes Körpers eintreten. Da nun aber die Erfahrung lehrt, daßbei Schädigung auch nur eines kleinen Körperteiles leicht die be-nachbarten Organe, ja der ganze Organismus in Mitleidenschaftgezogen werden kann, so sticht Barthez in der Sympathie einen