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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
Entstehung
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I. Vorläufer des 19. Jahrhunderts.

Sachse. Er krönte mit seiner Lehre den Vitalismus, das Prinzipeiner das Leben beherrschenden dynamischen Potenz, d. h. einerKraft ohne Stoff, und wenn Hahnemann anch glaubte, ein völligNeuer zu sein, so stand er doch auf den Schultern Anderer. Ge-boren in Meißen als kleiner Leute Kind, war er ein hochtalentierter,fleißiger, aber unsteter Mann, der es nirgends lange aushielt. Amlängsten scheint er in Leipzig und Cöthcu geblieben zu sein. Überallwar er ein gesuchter Arzt, der nicht nur die Fähigkeit hatte, dieLeute von sich reden zu machen, sondern auch viel studierte, nament-lich auf chemischem Gebiete. In Cöthen fand er die Gönnerschaftdes Herzogs und das sonst verweigerte Recht des Selbstdispensierens.Im 80. Lebensjahre schloß er eine zweite Ehe mit einer Französin,über die viel Auffallendes berichtet wird, verzog auf ihre Veran-lassung nach Paris und starb dort hochbetagt, nachdem es ihm auchin Frankreich gelungen war, sich trotz hohen Alters eine großePraxis zu verschaffen.

Die Hauptlehren Hahnemanns sind in seinem Organon aus-gesprochen: Als Vitalist glaubte er an die Lebenskraft: dieselbe istgeistiger Natur, ihre Veränderung zieht Krankheit nach sich. Daman, weil eben die Lebenskraft nnr geistig ist, ihre Veränderungennicht nachweisen kann, so ist es auch unpraktisch oder, besser gesagt,ersolglos, die Krankheitsursache zu suchen. Man kann die einzelnenStörungen des physischen Wohlbefindens nur dann behandeln undrichtig erkennen, wenn man die einzelnen Symptome in einer An-zahl von Fällen genan erforscht hat. Da die Lebenskraft ansich für die Heilung bedeutungslos ist, so muß man vermittelstMedikamenten einen der Krankheit ähnlichen, aber deut-licher ausgesprochenen Symptomenkomplex auslösen,welcher erfahrungsgemäß das primäre Krankheitsbild beseitigt. Aufdiesen Lehrsatz war Hahnemann durch Selbstbeobachtung ge-kommen. Er hatte sich mit der Übersetzung von Cullens Werkenbeschäftigt und dabei dessen Ansicht über die Wirksamkeit der China-rinde beim Wechselfieber gefunden. Da nun die von Hahnemann an sich selbst angestellten Versuche ergaben, daß die Chinarindebeim gesunden Menschen Fieberansälle hervorrief, die dem Wechsel-fieber glichen, so schloß er daraus, daß die Wirksamkeit eines Heil-