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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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III. Pathologische Anatomie.

Schwann-Schleidensche Blastemtheorie umstürzte. Es ist vongrößtem Interesse, die Vorrede zum ersten Bande seines Archives,das jetzt schou über 150 Bände zählt, zu lesen; es ist dies einProgramm, dem Virchow treu geblieben ist bis heute, und dem diepathologische Anatomie ihren Aufschwung verdankt:Der Stand-punkt, den wir einnehmen, ist der einfach naturwissenschastliche.Die praktische Medizin als die angewandte theoretische, die theore-tische als pathologische Physiologie ist das Ideal, dem wir, soweites unsere Kräfte gestatten, zustreben werden; die pathologischeAnatomie nnd die Klinik, obwohl wir ihre Berechtigung undSelbständigkeit vollkommen anerkennen, gelten uns doch vorzugs-weise als die Quellen sür neue Fragen, deren Beantwortung derpathologischen Physiologie zufällt. Da aber diese Fragen zumgroßeu Teil erst durch eiu mühsames uud umfassendes Detail-studium der Erscheinungen am Lebenden und der Zustände an derLeiche formuliert werden müssen, so setzen wir eine genaue undbewußte Entwickelung der anatvmischen und klinischen Ersahrnngenals die erste und wesentlichste Forderung der Zeit. Aus einersolchen Empirie resultiere dauu allmählich die wahre Theorie derMedizin, die pathologische Physiologie."

Die Grundsätze seiner Cellularpathologie kann Niemandbesser schildern, als der Antor selbst, der ihrer in seinem Werkchen100 Jahre allgemeine Pathologie" (189S) mit kurzeu, aberklaren Worten gedenkt. Diese Lehre geht davon aus, daß dieZellen der eigentlichen wirkenden Teile des Körpers die wahrenElemente desselben sind, und daß von ihnen alle vitale Aktionausgeht. Da aber das Leben sich nur durch Aktion äußert, so istdie Erkenntnis der verschiedenen Arten der Aktivität und ihrerStörung die eigentliche Aufgabe der Pathologie. Diese ist daherkeineswegs im Sinne von Lotze eine mechanische, sondern vielmehreine biologische Wissenschaft. Das mechanische Geschehen der ein-zelnen Lebensakte ist dadurch in keiner Weise ausgeschlossen; imGegenteil, ohne genaue Erforschung des Mechanismus, der iuWirksamkeit tritt, ist ein Eindringen in den feinen Hergang un-möglich. Physikalische uud chemische Gesetze werden durch dasLeben nicht ausgehoben, sie gelangen nnr in anderer Weise zur