Druckschrift 
Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
Entstehung
Seite
188
Einzelbild herunterladen
 
  

188

VI. Hygieine.

Pettenkofers, welche nicht glauben wollten, daß anch hier derschöne medizinische Lehrsatz von der Vorbeugung zu Recht besteht.Allmählich drangen aber Pettenkofers Ansichten durch und erstand auf dem Gipfel seiues Ruhmes, als die neueste der Wissen-schaften, die Bakteriologie, ihr Haupt erhob, und damit hattenwieder die Kvntagionisten Oberwasser bekommen. Pettenkofer hatte zwar immer die Ursache der Cholera und des Typhus ineinem belebten Keime gesucht und auch ausgesprochen, daß dieBakteriologie schließlich doch den Grnnd der örtlichen und zeit-lichen Disposition finden müsse, aber Kochs Autorität versammeltealle die zahlreichen Gegner Pettenkofers in seinem Lager, so daßdie kontagionistischen Maßregeln (Isolierung der Kranken, Des-infektion der Wäsche nnd der Exkremente) nicht verlassen wurden.

Da entschloß sich Pettenkoser in seinem 74. Lebensjahre,an sich den Beweis zu liefern, daß die Cholerabacillen unschädlichsind, wenn die örtliche und zeitliche, sowie die individuelle Dis-position fehlt, und er nahm am 7. Oktober 1892 einen Kubik-centimeter frischer Cholerakultnr mit vielen Milliarden von Komma-bazillen. Er blieb gesund, und als er kurze Zeit nach demExperiment im ärztlichen Verein 'zu München seine Erlebnisseschilderte, gebrauchte er die in ihrer Einfachheit klassischen Worte:Selbst wenn ich mich täuschte und der Versuch lebensgefährlichwäre, würde ich dem Tode ruhig ins Auge sehen, denn es wärekein leichtsinniger oder feiger Selbstmord, ich stürbe im Diensteder Wissenschaft, wie ein Soldat auf dem Felde der Ehre. Ge-sundheit uud Leben sind allerdings sehr hohe irdische Güter, aberdoch nicht die höchsten für den Menschen. Der Mensch, der höherstehen will, als das Tier, muß bereit sein, auch Lebeu und Ge-sundheit höheren idealen Gütern zu opferu." Die Sitzung imärztlicheu Vereine, in welcher diese Worte fielen, wird allen, dieihr beiwohnten, zeitlebens im Gedächtnis bleiben. Pettenkofers Schüler Emmerich hatte den gleichen Versuch zur selben Zeit mit-gemacht und blieb anßer einem leichten Unwohlsein gesund; auchdie übrigen els jungen Ärzte, welche den Versuch wiederholte!?,hatten keine ernstlichen bleibenden Störungen davongetragen.

Pettenkofers Leben war reich an Auszeichnungen, er wurde