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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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VI. Hygieine.

frei geworden von jenen bösen Epidemien und Straßen, in denensonst jahraus und jahrein der Typhus geherrscht hat, sind hentegesunde Quartiere, so daß Jahre vergehen, bis ein beschäftigterMünchener Arzt einmal einen Typhus zu Gesicht bekommt. Wieseit der Einführnng der Impfung die echten Pocken so selten sind,daß es Ärzte genug giebt, die noch nie einen echten Pockensall ge-sehen haben, so kommt es auch in München vvr, daß bei einemTyphusfall sich um ein Krankenbett mehrere Kollegen versammeln,um den interessanten Fall zn studieren, bis endlich einer durch denglücklichen Ausspruch: Typhus die Situation klärt.

Noch ein anderer Vorwnrf wnrde dem Altmeister der Hygieineimmer wieder gemacht, daß durch das Hineinleiten der Abwässer inden Fluß die größte Gefahr für die Abwärtswohneudeu herauf-beschworen würde, aber diesen Einwand konnte Pettenkofer be-seitigen durch seiue Lehre von der Selbstreinigung der Flüsse.In eingehenden Versuchen hat Pettenkofer nachgewiesen, daß einWasser, wie die Jsar, das schnell fließt und große Mengen bringt,die organischen Stosse, die ihm geboten werden, oxydiert und damitunschädlich macht uud das deswegen von eiuer Gefahr keine Redesein kann. Die erfnhrendsten Hygieiniker haben das nicht glaubenwollen, aber Pettenkofer hat durch das Experiment gezeigt, daß.er mit seiner Anschauung recht hatte. Er ließ das Jsarwasser vorseinem Eintritts in die Stadt und uach dem Verlassen derselbenauf seinen Gehalt an Bakterien untersuchen und kam zu dem Re-sultate, daß die unterhalb Münchens gelegenen Dörfer uud Städtekeiue Gefahr bedroht. So sehr vertraute man dem Werte und derRichtigkeit seiner Untersuchuugen, daß er den berühmten Ministerial-beschluß durchsetzte, wouach die Stadt Müuchen alle ihre Fäkalienin die Jsar ableiten dürse, uud iu den Jahren, die seitdem ver-gangen sind, hat sich sowohl in München als auch in anderenStädten, iu denen man ihm nachfolgte, nichts erwiesen, was seineLehren hätte umstürzen, ja nur erschüttern können.

Wir sind von der Wohnungshygieine, eigentlich ohne zu wolleu,zur Städtehygieine übergegangen, aber beide hängen so innigzusammen, daß wir auch noch der Wasserversorgung zu ge-denken haben, bei der der Altmeister Pettenkofer nicht selten