Giittinger Schule.
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Auch in Wien strebte gegen die Jahrhundertwende die Chirurgievorwärts. Dortselbst hatte der mit Gerhard van Swieten be-gründete Fortschritt durch die Knebelung der Autonomie der Uni-versitäten seitens der Kaiserin Maria Theresia schlimme Folgengehabt, bis es dem aufgeklärten Josef II. gelang, auch hier Wandelzu schaffen. Es ist kulturhistorisch wichtig, zu erfahren, was dieserFürst auch auf anderen Gebieten der Medizin teils durchsührte,teils durchzuführen bestrebt war. Von der Gründung des Wiener Krankenhauses haben wir schon gesprochen. Er verbot das Tragendes Korsetts in den Schuleu, ließ im Sommer die Straßen Wiensbesprengen uud befahl die Errichtung von Leichenhäuseru. Vor48 Stunden durfte keiue Sektion gemacht werde». Statt derSärge empfahl er eiuen einfachen Sack, womit er allgemeine Ent-rüstung Hervorries. Daun führte er die deutsche Sprache in diePorlesungen ein uud erlaubte den Protestanten und Judeu , Doktorender Medizin zu werden. Endlich wurde in den Entbindnugshäusernabsolute Diskretion verlangt.
Seine große Vorliebe für Chirurgie bewog ihn, die medizinisch-chirurgische Josefsakademie zu gründen, die am 7. November1785 erweitert wurde und das Recht erhielt, Magister und Dok-toren zn kreieren. Soviel dieses Institut auch zur praktischenHebung des chirnrgischen Standes nnd Unterrichtes beitrug, sogeringe wissenschaftliche Fortschritte brachte es — wegen Unfähig-keit seines Vorstandes, des Italieners Alexander von Brambille(1728—1800). Wesentlich besser diente der Wissenschaft FerdinandLeber (1727—1808), dem auch die Abschaffung der Tortur zuverdanken ist. Wir hätten noch eine Anzahl von chirurgischenLehrern zu nennen, die damals in der Kaiserstadt großes Ansehengenossen, sie waren gute Praktiker, aber keinem gelang es, seineWissenschaft auf ein höheres Niveau zu heben.
Der Anftoß dazn kam aus dem Auslande und wurde einer-seits, wie wir oben gesehen haben, von Richter, andererseitsvon Karl Kaspar von Siebold vermittelt. Es war ein glücklicherZnfall, der die beiden Deutschen aus eiuer Studienreise im Jahre1765 in Leyden zusammeuführte uud damals deren dauerndeFreundschaft begründete.
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