462 VIII. Innere Medizin und deren Hilfswissenschaften.
behandelt hat und noch dem Enkel Ratschläge erteilt, ohne dessenRat kein ernster Schritt in der Familie unternommen wird, stehtans dem Aussterbeetat; man braucht den Arzt nur im Notfall,sonst läßt man ihn links liegen. Damit ist nun ein Teil desEinflusses der Ärzte geschwunden, aber auch das Ansehen derJünger Aesculaps wurde geringer. Denken wir an die WienerSchule zurück, deren Nihilismus auch auf die Volkskreise über-greifen mußte, erinnern wir uus an die wüsteu Kämpfe zwischenAllopathie und Homöopathie, die auf offenein Marktplatze ausge-fochten wurden, an die Begeisterung, mit welcher früher die Kurenvon Prießnitz uud Schroth, später die von Kneipp, Felke uud demSchüser Ast, von dem Erfinder der berüchtigten NeibsitzbäderKühne, von dem Natnrheilkundigen Bilz bei Hoch und Niedrigausgenommen wurden, so kanu der denkeude Mann daraus schließen,daß eine solche Absage für die Medizin nur möglich war, wennes bei dieser irgendwo sehlte. Und trotz aller der gewaltigen Fort-schritte, die auf allen Gebieten, in der Medizin, wie in derChirurgie, in der Hygieine, wie in der Behandlung der Kinder-krankheiten, kurz wohin man nur immer schauen mag, klar zu Tageliegen, konnte die Astermedizin ihr Haupt erheben und zum Teilsogar triumphieren. Hatten die Ärzte den inneren Zusammenhangmit der Volksseele verloren, weil man ihnen den Rücken kehrte,war die Erfindung der vielen neuen Mittel aus „in" nur einunbewußtes Haschen nach einem neuen Arcanum, hatte die Wissen-schaft dem Arzte mehr gebracht, als er mit seiner Kunst verwertenkonnte, wer weiß die Ursachen des Niederganges, der klar vorAugeu liegt? Trotz der glänzenden Heilresultate bei den schwie-rigsten, früher für absolut tötlich gehaltenen Krankheiten, trotzdemeine Reihe von Krankheiten, die früher unsere Dörfer uud Städteentvölkerten, heute gar nicht mehr zur Beobachtung gelangt, trotz-dem sinkt allgemein die Wertschätzung des Standes, der in einerWeise nbersüllt ist, daß man besonders in den Großstädten voneiner direkten Not sprechen kann.
An der Misere sind zum Teil die Krankenkassen schuld, zumTeil die überhandnehmenden Kurpfuscher. Den Krankenkassen ge-hört ein großer Teil der Bevölkerung an, so daß für die Nichtkassen-