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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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Sociale Stellung der Arzte. 463

ärzte nur eine engbegrenzte Klientel übrigbleibt, Kliniken und Poli-kliniken vermindern die an sich schon geringe Zahl der für dieÄrzte übrig bleibenden Patienten. Da die Kassen die Macht inder Hand haben, so drücken sie die Honorare in einer Weise herab,daß sich die Feder sträubt, sie anzugeben. Aber die historischeGerechtigkeit verlaugt es, auch auf diese Seite uäher einzugehen.Wenn wir hören, daß es Kassen giebt, in welchen die Einzelleistungdes Arztes mit 3 Pfennigen honoriert wird, daß bei längerdauernder Krankheit nur die paar ersten Besuche bezahlt, dieübrigen pro niliilo geleistet werden, so weiß man nicht, was manmehr anstaunen muß, die Unverfrorenheit der Kassenvorstündeoder die Langmut der Arzte. Zwar haben sich dieselben an ein-zelueu Orten zusammeugethan und sind sogar in partielle Strikeseingetreten, (wer Hütte es vor 20 Jahren für möglich gehalten, daßwissenschaftlich gebildete Männer, die zu den staatserhaltendenElementen gehören, von den Socialdemokraten einen Begriff fürArbeitsverweigerung herüberuehmen!), aber damit haben sie sichpersönlich wenig genützt und den Rest von guter Meinung in denweitesten Volksschichten zerstört. Es haben sich Unterstützungskassengebildet, iu welche die weniger gut und besser gestellten Arzte ge-meinschaftlich einzahlen, um in Zeiten der Not durch Unterstützungenbesonders bedrohte Kollegen zu halten, aber was nützen Millionenbei einem Ärztestand von über 27 000 Kollegen? Es ist moralischsehr anzuerkennen und beweist, daß das ethische Gefühl iu denÄrztekreisen noch nicht ausgestorben ist, wenn die gutsituiertenNichtkassenärzte ihreu bedrängten Kollegen, die unter dem Bauueder Kassenmisere stehen, helfen und dabei vergessen, daß dochniemand anders an diesem Unheil schuld ist als die Kassenärzteselbst, welche sich gegenseitig unterboten uud damit den Kassavor-ständen die Kuebeluug des Standes erleichterten. Aber mit kleinenMitteln ist hier nicht geholfen, hier gilt der Spruch:Landgrafwerde hart", uud hart sollen die Kassenärzte selbst werden, wennes auch für die meisten schwer werden wird, die drohenden Zeitender Not zu überdaueru. Hier müssen alle zusammenhalten, dieÄrzte mit Rang und Würden und Ordensbändern, die Männervom Katheder und von der Feder, ebenso wie die Frohuarbeiter