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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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518 X. Geistes- und Nervenkrankheiten und gerichtliche Medizin.

der Sünde, daher auch die Seelenstörungen. Die Seele macht sichselbst krank. Leidenschaften und Sünde, d. h. der Abfall von Gott,sind die Ursachen der Psychischen Krankheiten. Die Haupsache inder Therapie derselben bildet die psychische Behandlung, namentlichfrommes Leben, gänzliche Hingabe an Gott und an das Gute.Die einzige Prophylaxis gegen Irresein ist der christliche Glaube.Johann Christ. August Heinroth (17731813) verfaßte einLehrbuch der Seelengesundheitskuude" und einLehrbuchder Störungen des Seelenlebens", welche beiden Bücher ihmviele Anhänger in Deutschland zuführten. Unter feinen Schülern,oder besser gesagt, Anhängern ragt Karl Wilhelm Jdeler hervor(179S1860); er dirigierte von 18401860 die psychiatrischeKlinik in Berlin , gab neben vielen anderen Werken auch einenGrundriß der Seelenheilkunde" heraus. Von Langer-mann in die Psychiatrie eingeführt, entfernte er sich bald vondessen Anschauungen und nahm eine Stellung ein, die ihn insHeinrothsche Lager führen sollte. Denn er hielt die Geistes-krankheiten für Ausschreitungen von Leidenschaften uud schuf einereligiös-mystische Basis, welche, wie so vieles andere, von dermodernen Naturforschnng über den Haufen geworfen wurde. Esist bei dieser Gelegenheit nicht uninteressant, daran zu erinnern,daß die Psychiatrie genau dieselben Phasen durchgemacht hat, wiedie innere Medizin: von der Mitte des aufgeklärten 18. Jahr-hunderts ab ein Drang nach Freiheit, der sich in mancher Hinsichtnach außen bethätigte, dann mit der Herrschast der Naturphilosophieeine Fesselung der wissenschaftlichen Forschung in starre Baudeund eine öde Stagnation und mit dem Erwachen der naturwissen-schaftlichen Forschung ein ebenso rasches Vorwärtsschreiten, wie esdie anderen Disciplinen zeigen; nur insofern macht die Psychiatrieeine Ausnahme, als auch iu der ödesten Zeit die praktischeJrrenheilkunde nicht stehen blieb und sich ungehindert um dietheoretischen Kämpfe entwickeln konnte, so daß die Geisteskrankenselbst von den Kämpfen der Zeit keinen Schaden hatten.Am weitesten in der Vertheidigung der Heinrothschen Lehreging der Philosoph F. E. Beneke (1798 1854), welcher einerein seelenwissenschaftliche Bearbeitung der Seelen-